Michael Fürst © Holger Hollemann/dpa Foto: Holger Hollemann

Michael Fürst fordert Rücktritt der documenta-Leitung

Stand: 29.06.2022 12:10 Uhr

Wegen antisemitischer Bildsprache wurde das Werk "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der documenta fifteen wieder abgebaut. Welche Konsequenzen sind nun zu erwarten?

Ein Fest der Weltkunst möchte die documenta in Kassel sein. Doch immer wieder sorgte sie auch für Aufreger. Die aktuellen Vorwürfe, antisemitische Kunst zu zeigen, haben jetzt aber eine andere Dimensionen als die Kontroversen früherer Jahre. Ein Werk namens "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hatte, kurz nachdem die documenta fifteen eröffnet wurde, wegen antisemitischer Bildsprache für Entsetzen und für Ärger gesorgt. Die Verantwortlichen der documenta entschieden zunächst, das Werk mit schwarzen Stoffbahnen zu verhängen - jetzt ist es aber ganz abgebaut.

Ein Gespräch mit Michael Fürst, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen sowie der Jüdischen Gemeinde Hannover.

Herr Fürst, was ist an der Bildsprache des Werks antisemitisch?

Michael Fürst: Ich habe heute gerade einen Blog von Thomas Wessel gelesen: "Documenta 15: Wimmelbild oder antisemitisches Weltbild? Volksfest oder Volksgerichtshof?" In diesem Blog beschreibt Herr Wessel minutiös das, was alles falsch an diesem Bild - aber nicht nur an dem Bild - gelaufen ist. Denn das Bild ist nur der Ausgangspunkt für etwas. Hier ist viel dramatischer die Haltung der documenta-Leitung nachdem man dieses Bild "entdeckt" hat. Das hätte man eigentlich vorher schon erkennen müssen. Man habe vorher angeblich mit den indonesischen Kuratoren über Antisemitismus und ähnliches gesprochen - die sagen, das sei nicht wahr, darüber habe man nie gesprochen.

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Hände zurren das schwarze Tuch über dem Großgemälde "People’s Justice" (2002) mit den umstrittenen Figuren des Kollektivs Taring Padi fest. © picture alliance/dpa Foto: Uwe Zucchi

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Das Bild selbst hat zwei Punkte, die so eklatant antisemitisch sind, dass man darüber eigentlich gar nicht nachdenken muss und eigentlich auch keine drei oder vier Tage braucht, um darüber eine Stellungnahme abzugeben. Wir haben auf der einen Seite eine Kavalkade von Geheimdienstlern im Straßenkampf, und einer davon hat den Begriff "Mossad" auf der Stirn, ein Schweinegesicht und einen Davidstern. Das ist eindeutig antisemitisch: Wer einen Juden mit einem Schwein vergleicht, der weiß schon seit dem Mittelalter, dass da etwas Antisemitisches dran ist. Der zweite Punkt ist die Darstellung des heutigen Juden mit seinen Schläfenlocken, mit dem jüdischen Hut, mit den spitzen Zähnen, blutschäumend vor sich hin wabert. Das ist der Jude, der die Welt beherrscht. Das ist auch dieses Antisemitische, was man sich schlechter gar nicht vorstellen kann.

Die documenta-Kuratoren von Ruangrupa haben sich für die antisemitischen Bilder eines von ihnen eingeladenen Kollektivs entschuldigt. Das jedoch hält den Skandal nach wie vor nur für ein interkulturelles Interpretationsproblem. Was sagen Sie dazu?

Fürst: Das sind Erklärungsversuche, die so wirr, ignorant und auch arrogant gegenüber den Juden sind, wie man sich das schlechter gar nicht vorstellen kann. Entschuldigungen kenne ich als Verteidiger in Strafsachen sehr gut - davon stimmt nie etwas. Das hat der Verteidiger seinem Mandanten eingebläut, dass er sich entschuldigen muss, das gibt zwei Jahre weniger. Es gibt auch einen schönen Witz: Der Angeklagter, der vor Gericht steht, nachdem er seine Eltern umgebracht hat und dann dem Gericht in seinen letzten Schlussworten sagt: Ich bitte dabei zu berücksichtigen, dass ich nun "weise" geworden bin. Das ist so dumm, sich mit diesen Entschuldigungsversuchen aus der Affäre zu ziehen.

Es ist gar nicht die Frage, was die Kuratoren da gemacht haben - entscheidend ist vielmehr, was die Leitung der documenta macht, die Generaldirektorin. Die sagte in ihrer ersten Stellungnahme, dass antisemitische Kunstwerke auf einer Weltkunstschau kein Podium haben dürften - bei allem Verständnis für Belange des globalen Südens. Das ist doch geschwurbelter Blödsinn. Antisemitische Kunstwerke dürfen niemals auf einer Schau ein Podium haben. Und was hat der globale Süden mit dem Darstellen des Antisemitismus in Deutschland auf der documenta zu tun? Ich glaube, Frau Schormann hat bis heute nicht verstanden, dass sie hier eine tragische Figur ist. Ich meine, sie hat ganz viel Pattex kaufen müssen, um immer noch auf ihrem Stuhl zu kleben.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Schaden?

Fürst: Diesen Schaden für die documenta kann man kaum wieder aufholen. Nicht nur, dass der Bundeskanzler nicht kommen will - was ich verstehe -, sondern das ist in der Welt herumgegangen. Die documenta hat einen großen Schaden genommen aufgrund der Unfähigkeit der documenta-Leitung, dieses Problem schnell zu beseitigen.

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Kunstinteressierte sehen sich auf dem Friedrichsplatz das mit schwarzem Tuch verhüllte Grossgemälde "People·s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi an. © Uwe Zucchi/dpa

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Sie haben davon gesprochen, dass die Leitung der documenta ganz falsch reagiert hat. Wie sieht es in der Politik aus?

Fürst: Man wirft unserer Kulturstaatsministerin vor, auch falsch gehandelt zu haben, und zwar im Rahmen der BDS-Bewegung. Diese Bewegung steckt wohl hinter dem ganzen Problem. Sie ist gegen den Staat Israel gerichtet, und nicht, wie man ursprünglich mal dachte, dass sie gegen die israelische Politik ein wenig einzuwenden hatte. Heute ist sie ganz klar gegen den Staat Israel gewendet, betreibt die Delegitimierung des Staates Israel. Dieses Problem hat Claudia Roth verkannt, glaube ich. Nun will ich ihr nicht diesen großen Vorwurf machen, wie es in der Politik geschehen ist. Wir haben hier ein documenta Problem, und das ist erst einmal nicht das Problem von Claudia Roth.

Und welches Problem sehen Sie ganz konkret bei der documenta?

Fürst: Die documenta muss Entscheidungen treffen bezüglich der Generaldirektorin, und nach meiner Auffassung kann man sie nicht halten.

Das heißt, Sie sagen, sie muss zurücktreten?

Fürst: Auf jeden Fall.

Das Gespräch führte Martina Gilica.

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Ein leeres Stahlgerüst, an dem das Großbanner "People’s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi zu sehen war, steht auf dem Friedrichsplatz. Die documenta fifteen sieht sich mit einem Antisemitismus-Eklat konfrontiert. © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Kulturspiegel | 28.06.2022 | 19:00 Uhr

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