Inklusive Kunst: Akt-Gemälde zum Anfassen
Ein Gemälde kann man nur betrachten - oder? Das Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum zeigt, dass es auch anders geht. Um Sehbehinderten und Blinden das Gemälde "Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag" von Paula Modersohn-Becker aus dem Jahr 1906 näherzubringen, wurde es als 3D-Modell nachgebaut. Nun können alle Besucher das Eichenholzrelief abtasten und so das Gemälde neu erleben. Doch warum gerade dieses Bild? Der Museumsdirektor Frank Schmidt erklärt: "Es ist der erste weibliche Selbst-Akt in der Kunstgeschichte. Deshalb wollen wir dieses sehr persönliche Bild für alle Besucher erfahrbar machen."
Hildesheim: Ägypten, Peru und China zum Anfassen
Auch in Niedersachsen gibt es Museen, die auf inklusive Kulturvermittlung setzen. Seit 2014 können sich Besucher des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim durch die Dauerausstellung "Museum der Sinne" hören, tasten, riechen und schmecken. Die Entdeckungsreise führt Kulturinteressierte nach Alt-Ägypten, Alt-Peru und China. Auch die Erdgeschichte und die frühen Menschen können interaktiv erfahren werden. Audioguides und Bodenleitlinien führen von ägyptischen Grabreliefs zu Raumkapseln und zu den Fährten wilder Tiere. Schilder in Groß- und Brailleschrift helfen zudem bei der Orientierung. Doch die Ausstellung ist nicht nur für Sehbehinderte gedacht.
Kunst für alle
Ob jung oder alt: Alle Menschen können in der Ausstellung etwas Neues erleben. Das Museum bietet verschiedene Führungen an, darunter auch eine Tour im Dunkeln - für Sehende mit Augenbinde. "Es ist ein Museumserlebnis für alle, darauf sind wir stolz", sagt Museumspädagogin Julia Kruse. Ein blinder Kollege im Team war der Auslöser für das inklusive Museumskonzept.
Siedepfanne und Holzkirchturm: Kulturgeschichte in Lüneburg
Auch in Lüneburg wird Kunst nicht nur betrachtet. So können seheingeschränkte Besucher seit 2015 das Holzmodell eines Kirchturms der Altstadt befühlen. Zudem können sie etwas über die Salzgewinnung mit Objekten wie einer Siedepfanne lernen. "Wir versuchen die Naturkunde und Kulturgeschichte der Hansestadt und der Region Lüneburg in allen Facetten erlebbar zu machen", erklärt die Museumsleiterin Heike Düselder.
Sprechen über Kunst in Wolfsburg
In Wolfsburg wird Kunst durch Worte erlebbar. Gespräche und detaillierte Beschreibungen der Kunstwerke stehen beim Angebot "Blind Date" des Kunstmuseums im Vordergrund. Das Ziel ist, dass so Bilder in den Köpfen der Sehbeschränkten entstehen. "Auch Sehende - wir nennen sie 'blinde Passagiere' - sind bei unseren Terminen willkommen", sagt Museumssprecherin Katharina Derlin.
Barockgarten und Luftfahrt - Inklusion in Hannover
Im Großen Garten in Hannover-Herrenhausen soll ein Bronzerelief eine Vorstellung vom Barockgarten, seinen Alleen und Wasserspielen vermitteln. Zudem verrät ein multimedialer Führer, der seine Inhalte auch in Punkt- und Großschrift anzeigt, mehr zu der über 350 Jahre alten Gartenlandschaft. Ebenfalls in Hannover: Das Luftfahrtmuseum Hannover-Laatzen. Es bietet nach Voranmeldung Führungen für blinde und sehbehinderte Besucher an.
Celle: Hören, fühlen, riechen im Bomann-Museum
Auch in Celle wird eine Führung speziell für blinde und sehbehinderte Menschen angeboten. Im Bomann-Museum lernen die Besucher der Ausstellung "Leben und Arbeiten in Celle und Umgebung" an fünf Stationen etwas über Celle, Kaiser Wilhelm II. und das Königreich Hannover. Hören, fühlen und riechen steht auch hier im Vordergrund.
Es ist ein Anfang, aber nicht genug
Die Museumsberaterin Susanne Berghöfer, die selbst stark sehbehindert ist, fordert viel mehr solcher Angebote: "Vor zwei, drei Jahren boomte das Thema Inklusion. Seitdem ist enttäuschend wenig passiert", kritisiert sie. Das sei umso bedauerlicher, als ein anderer Zugang zu Kunstobjekten neue Sichtweisen eröffnen könne.
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