Antisemitisches Gemälde auf der documenta: Was steckt dahinter?
Das auf der documenta wegen Antisemitismusvorwürfen in die Kritik geratene Gemälde "People's Justice" wird entfernt. Es sei richtig, dass es abgehängt werde, sagt die Journalistin Elke Buhr im Interview.
Die Chefredakteurin des Kunstmagazins "Monopol" meint, es sei richtig, dass das Bild indonesischen Künstlergruppe Taring Padi in Kassel abgebaut werde, weil es antisemitische Stereotypen zeige, und dass es von vielen Seiten Kritik gebe. Die vorab nicht wirklich stattgefundene Debatte, die im Vorfeld der documenta gescheitert sei, müsse jetzt von verschiedenen Seiten angestoßen werden.
Der Aufsichtsrat der documenta hatte das Abhängen des Bildes beschlossen, wie dessen Vorsitzender, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), am Dienstagnachmittag erklärte. Die Entfernung war zuvor schon von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und der hessischen Kunststaatsministerin Angela Dorn (Grüne) gefordert worden. "Es ist ein immenser Schaden für unsere Stadt und die documenta entstanden", so der OB. Es müsse aufgearbeitet werden, wie es zu der Installation kommen konnte.
Elke Buhr über den documenta-Eklat: "Warum man da nicht kritischer draufgeguckt?
Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins "Monopol", hatte im Vorhinein die documenta-Kuratoren gegen die Vorwürfe des Antisemitismus verteidigt.
Frau Buhr, wie blicken Sie jetzt auf die ganze Sache?
Elke Buhr: Dieses Bild verteidige ich überhaupt nicht, sondern ich finde es sehr gut, dass es da einen Aufschrei gab. Ich finde es gut, dass dieses Bild zunächst verhüllt und jetzt sogar abgebaut wird, weil es antisemitische Stereotypen zeigt. Es ist völlig richtig, dass es da von vielen Seiten Kritik gibt.
Können Sie uns ein bisschen Kontext geben? Taring Padi - was sind das für Leute? Wie kann das passieren? Was steckt dahinter?
Buhr: Taring Padi ist eine Gruppe, die sich Ende der 1990er-Jahre gegründet hat, aus der Erfahrung der Diktatur Suhartos, die da gerade zu Ende ging. Das war eine sehr harte Erfahrung für Indonesien: Das war ein Diktator, der als der korrupteste Diktator der Welt galt. Es gab da Massenmorde. Suharto wurde von den westlichen Mächten im Rahmen des Kalten Krieges unterstützt, wie das so oft war bei diesen Regimes. Diese Gruppe nutzt Agitprop-Ästhetik, Karikaturen, sehr politische Zeichnungen und Banner dazu, um Kunst in die Gesellschaft zu tragen.
Das ist so eine Art Protestkunst. Die machen auch Umzüge und Musik. Für die ist Kunst ein Mittel der politischen Kommunikation, und genau so sehen diese Gemälde auch aus. Was da noch mit hineinspielt ist eine indonesische Tradition des Schattenspiels. Das ist eine Mischung einer Ästhetik, die man auch aus den 1970er-Jahren kennt, und diesen indonesischen Bildtraditionen.
Wie kann so eine Symbolik da reinkommen? Es gab eine Verteidigung, das könne antisemitisch gelesen werden. Aber diese Figuren sind ziemlich eindeutig, oder?
Buhr: Das Problem ist, dass man das nicht weiß. Der Ursprung dieser Art von Karikatur ist definitiv Europa. Vor allen Dingen in der Nazizeit wurden genau solche Stereotypen und Karikaturen auf bösartigste Weise benutzt. Das hat sich aber weltweit als Chiffre für die kapitalistische Ausbeutung verbreitet. Das ist etwas, was in den Kontexten, in denen diese Gruppe unterwegs ist, lange nicht so problematisiert wird wie bei uns.
Ich glaube, dass es auch in Deutschland jahrzehntelang gedauert hat, bis die Öffentlichkeit gelernt hat, was ein antisemitisches Bild ist und warum. Offensichtlich ist diese Debatte in Indonesien überhaupt nicht oder nur wenig präsent und wahrscheinlich ist das Teil dieses Bildreservoirs. Man muss auch sagen, dass alle Soldaten, die da dem Kapital zugeordnet werden, als Tiere dargestellt werden, auch die Amerikaner und die Vertreter des eigenen Regimes.
Warum ist das vorher niemandem aufgefallen? So ein Ding aufzubauen, muss doch eine ganze Weile dauern.
Buhr: Das fragt man sich wirklich, warum man da nicht kritischer draufgeguckt hat. Dieses Bild wird ja auch nicht zum ersten Mal gezeigt, das ist 20 Jahre alt. Das wurde schon in Australien gezeigt und in vielen Ländern des globalen Südens, ohne dass es da jemals ein Problem gegeben hätte. Man schaut aber in Deutschland offenbar deutlich aufmerksamer drauf. Natürlich hätte die documenta angesichts der Debatte, die vorher stattgefunden hat, unbedingt anders draufschauen sollen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Wochenende eine sehr kritische Rede gehalten, die mit den Worten "Ich wäre beinahe nicht gekommen" angefangen hat. Sie haben ihn für diesen Eingriff in die Kunstfreiheit kritisiert - wie sehen Sie das jetzt in der Rückschau?
Buhr: Ich finde immer noch, dass das zu dem Zeitpunkt und mit den Argumenten, die Steinmeier da vorgebracht hat, nicht wirklich zutreffend und fair war. Er ist zum Beispiel auf das Narrativ eingegangen, dass Israel bei der Ausstellung boykottiert würde. Das wurde aber niemals gesagt, dass Israel oder israelische Künstlerinnen und Künstler boykottiert werden, sondern diese Ausstellung konzentriert sich auf Künstlerinnen und Künstler aus dem globalen Süden. Da sind auch keine Amerikaner dabei, nur zwei Deutsche und so weiter. Wenn ein Bundespräsident eine solche Unterstellung einfach so übernimmt, bei einer Gelegenheit, wo er eigentlich diese Ausstellung eröffnen sollte - das fand ich unpassend. Ich finde das immer noch nicht sehr überzeugend, wobei es sehr ärgerlich ist, das genau in so einem Fall dann so eine antisemitische Karikatur auftaucht. Aber es ist gut, dass sich die Debatte an dem konkreten Bild entzündet und nicht an Vermutungen und Unterstellungen.
Das Kunstwerk wird jetzt abgehängt - das hat der Kasseler Oberbürgermeister angekündigt. Reicht das?
Buhr: Das ist erst mal ein Anfang, um die Aufregung hoffentlich wieder ein bisschen zu befrieden. Natürlich muss aus dieser Debatte gelernt werden und ich bin mir sicher, dass es dazu noch viele Veranstaltungen und Diskussionen geben wird. Die documenta-Veranstalter wollen noch Experten hinzuziehen. Diese bislang nicht wirklich stattgefundene Debatte, die im Vorfeld der documenta gescheitert ist, muss jetzt von verschiedenen Seiten angestoßen werden.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.