Hamburg: Museumsklasse Kiekeberg für jugendliche Systemsprenger
In der Museumsklasse des Freilichtmuseums am Kiekeberg wird Kindern eine Chance gegeben, die oft durchs Raster fallen. Individuell betreut, lernen sie, mit schwierigen Situationen umzugehen.
Es gibt Kinder, die von frühester Kindheit an einen schweren Rucksack zu tragen haben. Die Gründe sind vielfältig: Sei es zum Beispiel, dass Familien belastet sind durch Krankheit oder Tod, dass Kinder bei drogenabhängigen oder psychisch kranken Eltern aufwachsen oder dass sie mit ihren Eltern aus Kriegsgebieten fliehen mussten. Kinder, die so früh traumatische Erfahrungen machen mussten, haben es besonders schwer, im Leben zurechtzukommen. Das zeigt sich auch in der Schule. Wer mit seinen Gefühlen nicht umgehen kann und stattdessen mit Stühlen schmeißt oder um sich schlägt, eckt an. Mit diesen komplex belasteten Kindern gerät das Schulsystem an Grenzen. In Hamburg geht die Schulbehörde gemeinsam mit der Jugendhilfe einen anderen Weg, um diesen Kindern zu helfen: mit einer Museumsklasse im Freilichtmuseum am Kiekeberg.
Museumsklasse Freilichtmuseum am Kiekeberg: Hoher Betreuungsschlüssel
Heute basteln die Kinder der Museumsklasse Schaf-Marionetten aus dicken Papprollen und echter Schafwolle. Anton ist konzentriert bei der Sache: "Ich musste mit dem Brotmesser den Kopf zurechtsägen." Ein Kind klebt die Schafwolle auf seine Marionette. Es ist ruhig in der Klasse - das sei nicht immer so, sagt Sonderpädagogin Birte Meinberg: "Ein großes Problem der Kinder ist, dass sie nicht mit Frust umgehen können, dass sie nie gelernt haben, wie man damit umgeht. Dann werden zum Beispiel Stühle geschmissen, es werden Zettel zerrissen oder die Kinder bekommen untereinander Streit. Und dann fangen sie an, sich zu hauen."
In einer normalen Klasse würden dann die Eltern angerufen, damit sie das Kind abholen. In der Museumsklasse bleiben die Pädagoginnen bei dem Kind. Egal, was es in seiner Wut getan hat, sagt Sozialpädagogin Friederike Schwartau: "Da müssen wir den Kindern Zeit geben und Geduld haben, immer wieder zu schauen: Wie können wir das das nächste Mal anders schaffen? Wir probieren verschieden Techniken aus. Als Erstes: Wo kommt meine Wut her? Das ist der erste Punkt, dies zu erkennen, und dann zu gucken: Wie kannst Du damit umgehen? Was gibt es vielleicht noch? Dann ist es vielleicht der Impuls, dass ich mal hier ums Haus renne und nicht den Hammer schmeiße."
In der Museumsklasse können die Pädagoginnen das leisten, denn der Betreuungsschlüssel ist extrem hoch. In der Regel kommen hier zwei Pädagogen auf vier bis sechs Kinder. Die Kinder in ihrer Wut begleiten - dafür eignet sich das Freilichtmuseum am Kiekeberg besonders gut: "Wir sind an einem unglaublich entschleunigenden Ort. Den Stress kann man von sich abfallen lassen - durch die Natur, die alten Gebäude", so Schwartau.
Museumsklasse: Ein sicherer Ort für Kinder
Außerdem gibt es hier viele Möglichkeiten, anders zu lernen als in der Schule. Jedes Kind kann bei Bedarf individuell begleitet werden. Die Museumsklasse wird für die Kinder zu einem "sicheren Ort", an dem sie sowohl basteln, kochen und Beete anlegen als auch lesen, schreiben und rechnen lernen, sagt Astrid Römelt vom regionalen Bildungs- und Beratungszentrum Harburg: "Hier gibt es diese Inseln, wo die Kinder erleben können: Ich kann ja doch etwas. Und wo sie auch wieder ein Stück Hoffnung gewinnen können, dass es sich positiv entwickeln kann. Sie kommen mit einem negativen Selbstbild - die glauben sich ja selbst nicht mehr, dass etwas aus ihnen werden kann. Dass sie etwas schaffen können. Und ein Stück dieser Hoffnung, kann hier wieder wachsen. Weil es so viele Möglichkeiten gibt, ohne einen Schulkontext, wo die Kinder etwas in die Hand nehmen können, etwas ausprobieren können und merken: Das schaffe ich ja."
Und wer ein Selbstwertgefühl und neue Lust am Lernen entwickelt, der ist nicht mehr so schnell wütend und frustriert. Ein bis eineinhalb Jahre bleiben die Kinder in der Museumsklasse - dann sollen sie wieder in anderen Schulen integriert werden, so der Plan. Die Museumsklasse im Freilichtmuseum am Kiekeberg gibt jetzt seit knapp zwei Jahren. Die ersten Kinder, die die Museumsklasse durchlaufen haben, konnten bereits integriert werden, erzählt Römelt.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Schule
