Eine Frau mit kurzen Haaren, Brille und gelber Strickjacke lächelt offen in die Kamera © Staatstheater Hannover Foto: Kerstin Schomburg

Sonja Anders: "Wir haben Probleme, die Häuser voll zu kriegen"

Stand: 06.05.2022 17:22 Uhr

Obwohl die Theater und Konzerthäuser wieder öffnen dürfen, bleiben viele Menschen dennoch zu Hause. Ist die Sorge vor einer Corona-Ansteckung zu groß oder gibt es vielleicht andere Gründe? Fragen an die Theaterintendantin in Hannover, Sonja Anders.

Frau Anders, was beobachten Sie in Ihrem Haus? Haben die Leute wieder Lust, kommen sie ins Theater?

Sonja Anders: Ja, wir beobachten in erster Linie, dass die Menschen, die kommen, extrem euphorisch sind. Das betrifft auch viele junge Menschen. Wir beobachten aber auf der anderen Seite, dass viele nicht kommen. Wir haben also Probleme, die Häuser voll zu kriegen. Wir fragen uns natürlich, wer weg bleibt, und da sind wir auf Spurensuche.

Und welche Antworten haben Sie da schon finden können?

Anders: Es fehlen uns in der Breite die älteren Zuschauer*innen - was traurig ist, weil die das Theater immer sehr getragen haben. Es fehlen auch die Gelegenheitsbesucher, die ein bisschen mehr selektieren, würde ich sagen. Wir spüren auch große Unterschiede, was die Abende angeht, die wir anbieten, in der Anzahl der Menschen, die sie besuchen.

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Wie erklären Sie sich das? Glauben Sie, dass bei den meisten noch die Sorge vorherrschend ist? Oder dass manche das vielleicht verlernt haben und sich andere Freizeitbeschäftigungen gesucht haben?

Anders: Ich glaube, das ist so eine Mischung. Auf der einen Seite haben sich die Menschen nach den Corona-Wellen immer wieder aufs Theater gefreut und sind auch gekommen. Wir glauben aber auch, dass es Menschen gibt, die schon in der dritten Saison viele Kartenrückgaben durchmachen mussten, manchmal auch umsonst gekommen sind, und die sich natürlich daran gewöhnt haben, zu Hause zu kochen, zu sitzen und fernzuschauen.

Aber auch ein anderer Aspekt spielt gerade jetzt rein: Ich glaube, dass diese Angst, die sich durch Corona breitgemacht hat, jetzt nochmal durch die politische Situation in der Ukraine gedoppelt wird und Menschen sich Sorgen um ihre Zukunft und um ihr Geld machen. Das macht mir schon Sorgen, vor allen Dingen, weil eine Gesellschaft nicht zu viel Angst verträgt.

Welche konkreten Folgen hat das für Sie? Mussten Sie schon Abende absagen, spielen Sie teils vor einem ganz kleinen Publikum?

Anders: Wir spielen zum Teil vor kleinem Publikum - und wir spielen und spielen und spielen. Das ist für uns ein Dogma, was wir uns gesetzt haben, weil dieses Glück im Zuschauerraum so groß ist, wenn wir spielen. Wenn wir Abende absagen müssen, dann, weil wir auch Krankheitsfälle im Ensemble im Zuge dieser dritten Welle haben. Die Menschen, die da sind, sind ja auch dankbar, wenn wir spielen.

Nichtsdestotrotz hat es natürlich finanzielle Konsequenzen, die uns Sorgen machen und die wir auch mit der Politik besprechen müssen. Die Hoffnung ist natürlich da, dass sich das wieder ändert. Wir schreiben auch Konzepte: Wie sähe denn ein Theater der Zukunft aus? Was spricht die Menschen mehr an? Was müssen wir tun?

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Können Sie schon sagen, wie ein Theater der Zukunft aussähe oder was Sie kurzfristig womöglich ändern wollen?

Anders: Das knüpft an Gedanken an, die wir eh schon haben: Wen sprechen wir an? Wie elitär sind wir? Wie elitär sprechen und vermitteln wir? Da müssen wir uns für die Zukunft vornehmen, nicht nur das Bildungsbürgertum zu erreichen, sondern mehr in die Breite zu gehen. Vielleicht auch etwas populärer zu denken, wenn es um Stoffe geht, und uns auch mal rückzukoppeln mit unseren Zuschaer*innen, zu fragen: Warum kommen Sie? Was wollen Sie sehen? Das heißt nicht unbedingt, den Servicegedanken zum inhaltlichen Gedanken zu machen, sondern eher umgekehrt: zu überlegen, wie der Inhalt, den wir ja transportieren wollen, der mit uns als wichtigem Ort der Zivilgesellschaft zu tun hat, anders vermittelt, anders transportiert, aber vielleicht auch niedrigschwelliger gestaltet werden kann.

Kann man sagen, dass in der jetzigen Krise eigentlich auch eine große Chance für das Theater liegt?

Anders: Das war ja immer so. Ich glaube, wir haben auch Antworten auf die Krise - gerade wenn es um Angst geht, um Zusammenhalt, gerade wenn es darum geht, dass wir vielleicht dem ewigen Wachstum etwas entgegensetzen müssen. Das ist übrigens interessant, dass gerade das junge Publikum sich diese Gedanken macht. Wie gehen wir damit um, dass dieses Wachstum womöglich weder ökologisch noch ökonomisch weiter anhalten wird?

Sie fahren am Wochenende zum Theatertreffen nach Berlin, wo "Ein Mann seiner Klasse" gezeigt wird. Da werden Sie aber wahrscheinlich wieder ein richtig volles Haus erleben, oder?

Anders: Ja, Gott sei Dank werden wir das erleben. Es ist eine kleine, feine Produktion, die sich mit einem super brisanten Thema auseinandersetzt. Das merken wir auch, dass dieses Thema Klassismus viel Publikum zieht. Das ist auch hier in Hannover so, dass die Produktion immer ausverkauft war. Das freut einen natürlich, dass die Menschen daran Interesse haben.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.05.2022 | 16:15 Uhr

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