Leander Haußmann: "Molière war Gamechanger im Theater-Business"
Am 15. Januar wäre Molière 400 jahre alt geworden. Leander Haußmann hat mehrfach seine Stücke am Theater inszeniert, etwa "Der Geizige" am Thalia Theater in Hamburg. Ein Gespräch darüber, warum Molière heute noch fasziniert.
Herr Haußmann, fühlen Sie sich mit Molière seelenverwandt?
Leander Haußmann: Wenn Sie Molière ansprechen, dann triggern bei mir ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten, mit Ihnen darüber zu sprechen. Zunächst einmal ist Molière ganz tief in meiner Familiengeschichte verwurzelt. Das liegt daran, dass mein Vater nach zehn Jahren Berufsverbot in der DDR seine erste große Rolle an der Volksbühne in Berlin bekam, in "Der Geizige", den er da zehn Jahre lang gespielt hat. Meine Mutter hatte damals das Kostüm gemacht, und ich spielte dort auch eine kleine Rolle, nämlich den Gerichtsschreiber - der im Übrigen in meiner Inszenierung einige Jahrzehnte später am Thalia-Theater nicht vorkommt.
Und jetzt bin ich gerade in Wien und spreche mit dem Intendanten des Volkstheaters über meine nächste Inszenierung, "Der eingebildete Kranke" von Molière. Ich selber habe, inspiriert durch meinen Vater und seine Darstellung vom "Geizigen", lange bevor ich an der Schauspielschule war, mit einer Truppe von Leuten auf der Straße den "eingebildeten Kranken" von Molière gespielt.
Was macht Molière heute noch so faszinierend?
Haußmann: Jedes Jahrhundert hat seine Genies, die überleben. Das sind in der Regel nicht sehr viele, aber Molière gehört definitiv dazu. Er ist - nach Shakespeare - einer der ganz wesentlichen Gamechanger im Theater-Business und die Blaupause für alles, was später an Komödie passiert. Vorher gab es die Commedia dell’arte - aus heutiger Sicht mehr oder weniger ein sehr anbiederisches Theater. Es kommt ja von der Straße, und auf der Straße kann man es sich nicht erlauben, die Leute zu verstümmeln, man muss sie binden. Und dadurch kommt es zu schleimigen Übergriffen von Schauspielern dem Zuschauer gegenüber. Molière hat das abgeschafft. Er hat angefangen, sehr kritische Charakterkomödien zu entwickeln, die letzten Endes sehr erfolgreich waren, vom "Tartuffe" mal abgesehen, mit dem er große Schwierigkeiten hatte.
Bis heute ist es auch faszinierend, dass er auf der Bühne starb, in der vierten Aufführung von "Der eingebildete Kranke". Die Leute hielten das für einen Gag, als er zum Ende hin einen Blutsturz bekam. Er spielte auch noch weiter, die Leute lachten, und dann ist er auf der Bühne gestorben - nach Überlieferungen zuhause, aber in der Erinnerung vor Zuschauern. Das ist schon sehr faszinierend.
Ob Sie heute eine amerikanische Sitcom sehen oder Neil Simon oder Arnold und Bach, um auch mal ein paar Deutsche zu nennen - das ist alles letzten Endes auf Molières Mist gewachsen.
Sie sind selbst Regisseur von sehr humorvollen Filmen wie etwa "Sonnenallee", "Herr Lehmann", "NVA" und "Das Pubertier". Wie schwierig ist es eigentlich, Komisches auf die Bühne und auf die Leinwand zu bringen?
Haußmann: Man muss erstmal sein Handwerk beherrschen. Dann muss man eine sehr große Liebe zum Drama und zur Tragödie haben. Die Sehnsucht der meisten meiner Kollegen, die Komödien machen, ist immer zum Drama oder zur Tragödie hin, weil die am Ende im Feuilleton ernster genommen wird, als die Komödie, die ja letzten Endes auf der Tragödie beruht.
Man kann sagen, Komödie ist Tragödie mit Aussicht auf ein gutes Ende. Es ist den Leuten dann auch erlaubt, über das Schicksal der Figuren zu lachen. Eine Katharsis, die dann auch eintritt, wenn man Tränen lacht - und nicht nur, wenn man Tränen weint. Das kann man schon bei Aristoteles nachlesen.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe.
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