Premiere von "Protec/Attac": Radikale Verweigerung im Malersaal
Das Stück "Protec/Attac" des New Yorker Künstlerduos Julia Mounsey und Peter Mills ist ein Aufruf zur kollektiven Verweigerung. Am Sonnabend wurde es im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg uraufgeführt.
Ja und Nein: Wählen Sie, treffen Sie eine Entscheidung. Dieses Projekt ist karge Kost und ein Abend über die freie Wahl. Vor einer Betonwand im Malersaal stehen ein Tisch, zwei Stühle und zwei Mikrofone. Links und rechts jeweils ein Bildschirm. Dann kommen Julia Wieninger und Lars Rudolph herein, scheinbar privat. Sie setzen sich gegenüber und beginnen ein tastendes Frage-Antwort-Spiel, geben rätselhafte Anleitungen wie für ein Wahrnehmungs-Seminar, ein Training der Reflexe und Gehirnhälften.
"Will ich überhaupt mitmachen?"
Das Publikum soll laut einatmen, wenn ein roter Apfel auf dem Bildschirm erscheint. Und bei einer plötzlich aufploppenden Banane? Einfach nichts machen. Eine Zuschauerin erzählt danach: "Ich war sehr in dem Stück drin, es hat mich sehr mitgenommen. Aber ich glaube auch, dass das Stück das auch so wollte, dass es sehr zum Mitmachen angeregt hat. Gleichzeitig hat es dann aber auch einen inneren Prozess angestoßen: Will ich überhaupt mitmachen?"
Dieses Stück ist eine Art analoges Videospiel. Wir, das Publikum, sind immer beteiligt. “Wollen Sie die Geschichte hören, wie ich angegriffen wurde? Wollen Sie die Geschichte, wie ich NICHT angegriffen wurde?” Indem Julia Wieninger schnipst, lässt sie das Publikum "Ja" oder "Nein" sagen.
Raus aus dem Wollen, Machen, Tun, Lieben
Irgendwann leihen die beiden ihre Körper und Stimmen einem realen Interview, spielen es nach. Das Interview wurde 2020, im ersten Covid-Winter, in New York zwischen den beiden Autorinnen und Regisseuren des Abends, Julia Mounsey und Peter Mills Weiss geführt. Und langsam entsteht ein Bild: "Ich bin hoffnungslos, und Hoffnungslosigkeit ist ein Zustand der Gnade", sagt Julia Wieninger in ihrer Interview-Rolle.
Eine Frau verweigert sich. Bleibt einfach zuhause, ernährt sich nur noch von Scheiblettenkäse und Brot. Geht neun Monate nicht vor die Tür. Dreckige Unterwäsche wird weggeworfen, neue über's Internet bestellt. Diese Frau will nicht sterben, nein, sie lässt sich herabsinken ins Elend. Das Credo liefert Wieningers Bühnenpartner Lars Rudolph: "Do nothing, die young, end the world!" Tue nichts, stirb jung, beende die Welt - raus aus dem Wollen, Machen, Tun, Lieben.
Aufruf zur kollektiven Verweigerung wirkt seltsam überholt
Covid als Stopptaste. Wieninger erzählt von ihrer Fantasie, "dass alle Menschen auf der Welt einfach kollektiv aufgeben." Auf merkwürdige Art ist dieser Abend eine absolute Diät der Sinne: ohne Puder und Perücke, ohne Figuren oder Drama. Aber in seinem Aufruf zur kollektiven Verweigerung wirkt der Abend seltsam überholt. Angesichts von Krieg und Klimakrise fragten sich nicht wenige Zuschauer nach der Aufführung, ob zu Hause sitzen und nichts tun ernsthaft die richtige Antwort sein kann. Als wären wir, ob wir es wollen oder nicht, zurück in die Geschichte geworfen.
Was bleibt, ist der Gedanke, dass Ja und Nein die mächtigsten menschlichen Wörter sind. Auch diesen Theaterabend ärgerlich und auf seine Art platt zu finden, also ein "Nein" zum Abend, wäre eine Entscheidung. Ihn in seiner Kargheit zu mögen, liegt vor allem an diesen beiden hochintensiv spielenden Schauspielern. Also: "Ja!"
Premiere von "Protec/Attac": Radikale Verweigerung im Malersaal
Das Stück des New Yorker Künstlerduos Julia Mounsey und Peter Mills Weiss wurde am Sonnabend in Hamburg uraufgeführt.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus, Malersaal
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Telefon:
- 040 248713
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