Kasper in der Gewaltspirale: Klamaukig und beklemmend
Den Trend hin zu immer härteren, immer schaurigeren Geschichten hinterfragt das Theaterstück "Tatort Grand Guignol". Im Theater im Lindenhof in Braunschweig ist es zu sehen.
Der Kasper hat eine Krise. Gerade hat er wieder einmal, angestiftet vom Krokodil, mit dem Knüppel die Gretel erschlagen. Die liegt blutend am Boden. Erschrocken über seine eigene Brutalität, will Kasper eigentlich raus aus der Gewaltspirale. Er will nicht mehr liefern, wonach das Publikum verlangt - doch es gelingt ihm einfach nicht. So sehr er seine Rolle auch hinterfragt, wie in einem Alptraum wiederholt sich das Geschehen immer und immer wieder: "Ich will nicht tun, was ich tue. Aber es gibt scheinbar einen Plan, der mir vorschreibt, wie ich mich zu verhalten habe. Alles, was ich sagen darf ist: Knie' dich hin. Ich erschlag' dich. Ich bring' dich um. Und dann lachen alle. Und dann hau' ich drauf. Und drauf, und drauf, und drauf. Dann ist das Stück vorbei. Der Vorhang geht zu. Und ich bin allein."
Der Kasper wird im knallbunten Ringelpullover und roter Wollmütze von Nintje Schwabe gespielt. "Tatort Grand Guignol" ist ein groteskes, bitterböses Stück. Auf einer schaukastenartigen Bühne agieren die Figuren darin wie beim Kasperletheater für Kinder. Nur, dass es hier keine Handpuppen sind, sondern Schauspieler in schrillen Puppenkostümen und dass sich das alles nicht an kleine Menschen richtet.
Theater Grand Guignol erzählt mit der Sprache des Puppentheaters
Klamaukig und beklemmend zugleich behandelt das Stück die Frage: Warum haben eigentlich so viele Freude an unterhaltender Gewalt? Regisseur Simon Paul Schneider sagt: "Bei uns geht es um das Rezeptionsverhalten, was wir haben. Was ist das denn, was wir uns da täglich bei den Crime-Podcasts antun? Wir liegen abends und schlafen gemütlich ein, während darüber berichtet wird, dass meistens Frauen erschlagen und vergewaltigt werden. Das hinterfragen wir hier so ein bisschen."
Es ist bereits das dritte Stück, dass Regisseur Schneider mit seinem freien Ensemble in Braunschweig als Kasperletheater inszeniert. Auch für den letzten Teil der Trilogie bedient sich die Theatergruppe in Anlehnung an das Pariser "Théâtre du Grand Guignol" der Sprache des Puppentheaters, "was im 17., 18. Jahrhundert immer abwechselnd abends Schauerstücke, Gruselstücke und Komödien gespielt hat", beschreibt Schneider. "Grand Guignol bedeutet ja der große Kasper. Wir haben gedacht, lass uns doch weg vom Menschen gehen und Figuren als Hüllen nehmen, weil die viel mehr erzählen können. Die können Sachen machen - lustig und grausam sein."
Kasper will sich aus der Gewaltspirale befreien
Woher die menschliche Freude am Grausamen rührt, und ob uns solche Unterhaltung eigentlich gut tut, das bringt die Theater-Besucherinnen und -besucher in Braunschweig jedenfalls zum Nachdenken, wie einige Gäste erzählen: "Ich habe früher auch so etwas geguckt. Am Anfang fand ich es total schockierend - dann normal. Das ist aber nicht normal, wenn man so etwas normal findet! Man kann sich das wirklich wieder abgewöhnen. Das finde ich erstrebenswert."
Auch der von der eigenen Lust an der Brutalität müde gewordene Kasper findet es erstrebenswert, sich von der Gewalt zu lösen, aus der ihm zugeschriebenen Rolle zu befreien. Ob es ihm am Ende gelingt, sich von der blutlüsternen Erwartungshaltung des Publikums zu emanzipieren? Antwort darauf gibt ein Besuch des Stücks "Tatort Grand Guignol".
Kasper in der Gewaltspirale: Klamaukig und beklemmend
Das Theaterstück "Tatort Grand Guignol" hinterfragt den Trend hin zu immer härteren und immer schaurigeren Geschichten.
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Theater im Lindenhof
Humboldtstrasse 27
38106 Braunschweig