"Im Menschen muss alles herrlich sein": Theaterabend über Fremdheit
Journalist Can Dündar hat am Donnerstag das Festival "Nachbarschaften" im Thalia Theater in Hamburg eröffnet. Dort wurde das Stück "Im Menschen muss alles herrlich sein" uraufgeführt.
Es basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sasha Marianna Salzmann. Der schmerzhaft schnörkellose Abend über Migration am Thalia Theater in der Gaußstraße im Rahmen des transkulturellen Festivals "Nachbarschaften - Komşuluklar" fängt ohne Kitsch Bilder von Fremdheit ein: von Einsamkeit, fern von Zuhause; mit Sätzen, kalt wie Eis.
"Im Menschen muss alles herrlich sein": Uraufführung am Thalia Theater
"Wenn man im Rücken Schüsse hört, dann tut man so einiges, Perestroika halt, Fleischwolfzeit.(...) Aber bevor ich aus dem Fenster sprang, lag die Welt mir zu Füßen." sagt Tatjana: Die ehemalige Tänzerin aus der Ukraine ist jetzt Friseurin in Deutschland, ist krank an Körper und Seele.
Oana Solomon spielt diese Frau im Exil als Zerrissene eindrücklich, berührend. Stefan Stern singt ein Lied aus der alten Heimat, während hinten der Schnee auf vier vereinsamte Frauen fällt.
Schmerzhaft schnörkelloser Abend nach Roman von Sasha Marianna Salzmann
Dieser schmerzhaft schnörkellose Abend fängt Bilder von Fremdheit ein. Von Einsamkeit, fern von Zuhause, im Dazwischen gefangen. Dabei beginnt alles total nüchtern - nämlich mit Edi: "Ich habe eine Artikelabgabe, naja, eigentlich hatte ich eine Artikelabgabe." Edi will Journalistin werden, sie soll über ihre ukrainischen Wurzeln schreiben, wehrt sich aber dagegen. "Wie soll ich denn das machen, wie soll ich meinen Großvater fragen, wie man zu Fuß aus einer zerbombten Stadt flieht?"
Toini Ruhnke spielt Edi glasklar und präsent. Durch ihre Augen blicken wir auf eine Ukraine zwischen den 70er-Jahren und 2017.
Das ganze Land liegt vom Bauchnabel bis zur Gurgel aufgeschnitten auf dem Operationstisch. Zitat aus dem Stück "Im Menschen muss alles herrlich sein"
Sätze, kalt wie Eis. Die Kriegswirklichkeit der letzten Monate hat sie blank geschliffen. Eine Besucherin erzählt: Es war anstrengend, aber ich fand, dass sehr starke Bilder erzeugt wurden und die Geschichte sehr gut transportiert wurde."
Bühnenbild mit alten Stühlen und irrlichternden Videos
Die Bühne ist so gut wie nackt: Ein paar gestapelte alte Stühle, vor irrlichternden Videos, unter kreisenden Scheinwerfern verlieren sich einsame, zerbrochene, kranker Seelen. Absolut überragend ist Oda Thormeyer als Edis Mutter Lena:
- Aber du kommst ja am Wochenende, nicht?
- Ja, ich versuchs.
- Wie, du versuchsts?
Zitat aus dem Theaterstück
Sie hält diese krude Familie mit so einer störrischen Wut zusammen, mit so viel unterdrückter Trauer, dass es ins Herz trifft. Sie hat ihre beste Freundin Tatjana mit ihrem Kind nach Jena geholt - der Stadt, in der sie alle stranden, die ukrainisch-russisch-jüdische Mischpoche.
Regisseur Hakan Savaş Mican inszeniert ohne Kitsch und Exotismus
"Das war ein Stück, das zeitgemäß ist, es passt zu dieser Ukraine-Russland-Kriegssituation", meint ein Besucher nach der Uraufführung am Thalia Theater. "Es hat noch einmal den Blick auf eine andere Kultur gelenkt, wir wissen eigentlich recht wenig," sagt ein anderer. "Ich bin Griechin, meine Eltern sind irgendwann als Gastarbeiter hergekommen, und ich fühlte mich ein bisschen zurückversetzt", erzählt eine weitere Theaterbesucherin. Ein vierter sagt: "Mein Vater ist auch als Kind mit seinen Eltern vertrieben worden."
Was für ein Glücksfall. Mit Hakan Savaş Mican inszeniert ein Regisseur mit türkischen Wurzeln einen Theaterabend über Migration, Fremdheit, ohne Kitsch oder süßlichen Exotismus. Das durchweg starke Ensemble, auch der fabelhafte Thalia-Neuzugang Pauline Rénevier, macht die Risse unter der Oberfläche spürbar.
Theaterstück der Stunde
Wenn meine Welt untergeht, warum gehen dann andere Menschen in der Abendsonne spazieren? Zitat aus dem Theaterstück
Sasha Marianna Salzmanns Roman wird hier zu einem Theaterstück der Stunde. Ein rundum gelungener Auftakt des transkulturellen Festivals über ein zerbrechendes Heute.
"Im Menschen muss alles herrlich sein": Theaterabend über Fremdheit
Das schmerzhaft-schnörkellose Stück am Thalia Theater nach Sasha Marianna Salzmanns Roman fängt Bilder von Fremdheit und Einsamkeit ein.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Thalia Gauss
Gaußstraße 190
22765 Hamburg