Gewalt und Tyrannei: Schauspielhaus stellt neues Programm vor
Wie bildet man die Welt ab im Theater? Diese große Frage spielt natürlich auch heute eine Rolle, als das Hamburger Schauspielhaus das neue Programm für die kommende Spielzeit vorgestellt hat.
Das hatte schon was: Karin Beier saß mitten in einem Bühnenbild. Rechts ein alter Herd, links ein leerer Vogelkäfig, im Hintergrund eine Wäscheleine über der Badewanne. Normalerweise zetern und rasen Werner Schwabs "Präsidentinnen" in dieser kleinbürgerlichen Wohnküche. Nun sprach die Intendantin sichtlich berührt von der sich verändernden Welt, dem Verlust von Gewissheiten und von Gewalt, die ein zentrales Thema sein wird in der kommenden Spielzeit.
Von Macbeth über Caesar zu Putin
Gleich zu Beginn steht die Auseinandersetzung mit zwei Shakespeare-Tyrannen: Macbeth und Julius Caesar: "Da kommt man gar nicht umhin, an Putin zu denken. Das ist ganz klar", sagt Karin Beier. "Wie deutlich man das zeigt, wird sich zeigen. Es ist so, dass wir unsere Zuschauer nicht unterschätzen dürfen. Ich bin manchmal als Zuschauer eher genervt, wenn ich fünfmal mit der Nase auf etwas gestoßen werde, was ich doch erkenne."
Stefan Pucher inszeniert "Caesar", das Stück über Tyrannenmord, frei nach Shakespeare und kehrt damit nach langer Zeit ans Schauspielhaus zurück. Mit "Macbeth" setzt sich die Regisseurin Karin Henkel zur Eröffnung der Spielzeit am 23. September im großen Haus auseinander: "Etwas, was glaube ich sehr oft in solchen autokratischen Systemen eine Rolle spielt - diese Mischung aus Größenwahn und Angst - wird da sehr deutlich und genau durchdekliniert", erzählt Karin Beier und fragt: "Gibt es Konstruktionen, gibt es Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, dass so etwas überhaupt entsteht?"
Gewalt als zentrales Thema in der nächsten Saison
Gewalt gegen Frauen ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Annalisa Engheben bringt "Das Ereignis" von Annie Ernaux als deutsche Erstaufführung heraus. Karin Beier bietet mehreren jungen Regisseurinnen eine Bühne und Lucia Bihler gleich die Große: Sie inszeniert "Woyzeck". Auch Gewalt gegen die Natur, der Klimawandel, spielt eine große Rolle im Spielplan: "Das finde ich wirklich sehr wichtig, da nach Stoffen zu suchen", sagt Karin Beier. "Es ist sehr schwer, aber wir haben drei Stoffe, die sich damit auseinandersetzen. Einer davon ist: Ein australischer Autor hatte die Idee, die Menschheit für ein Jahr in den Schlaf zu versetzen, damit sich die Natur und die Tierwelt erholen kann. Das ist eine sehr krude Idee."
Auch in diesem Zusammenhang zu sehen ist die deutsche Erstaufführung von Karl Ove Knausgårds gerade auf Deutsch erschienenem Roman "Der Morgenstern" und Katie Mitchells Ansatz, Tschechows "Kirschgarten" aus der Sicht der Bäume zu erzählen. Schon vor dem offiziellen Beginn der Spielzeit im September wird der bildende Künstler Paul McCarthy die Performance "A&E/Adolf (Hitler) &Eva (Braun)/Adam &Eve" mit Lilith Stangenberg zeigen, die fest ins Ensemble kommt. Karin Beier tritt, anders als in den vergangenen Jahren, nicht als Regisseurin in Erscheinung. Das heiße jedoch nicht, dass sie pausiere: "Ich habe kein Jahr Pause. Ich probe durch. Das mache ich danach vielleicht, nach dem Projekt."
Zuschauerschwund auch im Hamburger Schauspielhaus
Für welches Projekt sie jetzt schon probt, verrät die Intendantin natürlich nicht. Sorge bereite ihr neben den großen Krisen der massive Zuschauerschwund, den auch das Schauspielhaus in den letzten Wochen erfahren habe. Sogar für die Uraufführung heute Abend sind noch viele Karten zu haben. "Wenn das ein Dauerzustand wird, werden wir sehr genau überlegen müssen, wie man in dem Spielplan eine Balance herstellen kann zwischen dem, bei dem wir sagen: Das ist anspruchsvoll - und den Texten, bei denen wir sagen: Möglicherweise zieht das Publikum, weil es eine größere Leichtigkeit hat oder ein Klassiker ist", sagt Karin Beier. "Wobei ich auch nicht weiß, ob das wirklich das Rezept ist."
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