Mariia Vorotilina und Daniella Preap © NDR.de/ Peter Helling Foto: Peter Helling

Daniella Preap und Mariia Vorotilina: Zwei Ukrainerinnen auf Kampnagel

Stand: 24.04.2022 11:17 Uhr

Auf Kampnagel treffen wir zwei Ukrainerinnen: Daniella Preap und Mariia Vorotilina. Die eine ist eine geflüchtete Profitänzerin, die andere lebt seit vier Jahren hier und baut gerade ein Netzwerk für ukrainische Kreative auf.

von Peter Helling

Im lichtdurchfluteten Tanzsaal auf Kampnagel tanzt Daniella Preap zu einem Kinderlied aus der Ukraine. Die 25-Jährige macht gehackte, fragmentierte Bewegungen, ihre Finger berühren sich, spreizen sich wie Blüten. "Es ist so, als ob die Bewegungen nicht mehr fließen. Sie sind sehr abgeschnitten, mit vielen Brüchen. Es geht durch deinen Körper, ist fragmentierter als sonst, denke ich", sagt die Tänzerin.

Ihre Gedanken und Gefühle fließen in die Bewegungen ein. Und die sind alles andere als leicht. Daniella Preap ist Profitänzerin aus Kiew. Nur einen Tag nach Kriegsausbruch in der Ukraine haben sie und ihre Eltern die Taschen gepackt und sind in den Westen des Landes geflüchtet. Schon in der ersten Kriegswoche hat sie von dem Stipendium von K3, dem Zentrum für Choreografie auf Kampnagel, auf Instagram gelesen und sich beworben. In Krakau, auf der Flucht über Polen, kam die Zusage und seit 10. März ist sie in Hamburg. Die Eltern entschieden sich, in die Niederlande weiterzureisen. Jetzt ist Daniella Preap hier in Sicherheit, aber sie empfinde vor allem Scham und Schuld. "Selbst, wenn ich sicher bin: Alle meine Freunde, alle Leute, die ich kenne und Menschen aus der Ukraine müssen leiden."

Den Kopf frei bekommen auf Kampnagel

Ein halbes Jahr lang kann sie hier kreativ sein. Als sie ankam, fragte sie: Wo ist meine Arbeit, was ist zu tun? Und alle haben ihr freundlich gesagt: Schau dich erst einmal um. Du kannst hier in aller Ruhe recherchieren. Sie war geschockt: So einfach funktioniert das doch nicht! Gerade versucht sie, möglichst wenig Nachrichten zu sehen. Immerhin: Das Leben kehre gerade nach Kiew zurück. Was sie besonders freut: Es gibt wieder Staus auf den Straßen! Ein Stau als Ausdruck für pralles Leben. Da lächelt die junge Tänzerin zaghaft, denn über allem steht die Frage: Wie lange noch?

Daniella Preap tanzt, aber derzeit nicht für die Öffentlichkeit. Hier auf Kampnagel kann sie ihren Kopf frei bekommen. Und sie hat Pläne: Sie wird eine Choreografie über die ukrainischen Geflüchteten entwickeln, will von den jungen Frauen, den Mädchen auf der Flucht erzählen - Frauen wie sie selbst: "Weil es meine eigene Erfahrung ist, möchte ich über junge Mädchen und Frauen sprechen."

Projekt "Voices" vernetzt ukrainische Künstlerinnen und Künstler

Neben ihr sitzt Mariia Vorotilina. Sie ist Ukrainerin aus Schytomyr und seit vier Jahren ist sie fest im Team der Kulturfabrik Kampnagel in der Öffentlichkeitsarbeit. Ihre Mutter und ihr Bruder sind nach Kiew zurückgekehrt, als sich die russischen Truppen zurückzogen. Die aktuellen Bilder deprimieren sie zutiefst: "Ich denke die ganze Zeit: Das könnten meine Freunde, das könnte meine Familie sein." Vor allem fürchtet sie sich davor, was noch herauskommt an russischen Kriegsverbrechen.

Seit Kriegsausbruch engagiert sie sich für das Projekt "Voices", zu dem sieben deutsche Theaterhäuser gehören. Es vernetzt ukrainische Künstler und Künstlerinnen und sammelt Tagebucheinträge, Fotos und Geschichten. Sie nennt es für sich ein lebendiges Kriegsarchiv. Es ist offen und für alle zugänglich. Zu 14 Kreativen hält Mariia Vorotilina gerade Kontakt, bietet ihnen eine Plattform. Auf die fast hilflose Frage, was Kunst in Zeiten dieses Kriegs ausrichten könne, sagt sie: Kunst sei etwas für die Privilegierten, die in Sicherheit leben. Deshalb hofft sie, dass die Privilegierten ihr Privileg nutzen, um für die zu sprechen, die es gerade nicht können, um die politische Situation zu verändern.

Weitere Informationen
Natalya Stupka (li.) und Mariia Vorotilina © Yulia Krivich / Vita Popova Foto: Yulia Krivich / Vita Popova

Projekt: Zwei Ukrainerinnen vernetzen Geflüchtete in Hamburg

Unter dem Motto "Zusammenkommen" organisieren Natalya und Mariia Treffen für geflüchtete ukrainische Künstlerinnen und Künstler. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 19.04.2022 | 18:00 Uhr

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Theater

Tanz

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