Ballettchef Neumeier: "Es ist alles für uns sehr schwierig"
Der Chef des Hamburg Balletts John Neumeier beschreibt im Gespräch die emotionale Lage seiner Compagnie zum Russland-Ukraine-Krieg. Derzeit tourt das Ensemble in den USA.
Seit zwei Wochen berichtet auch der NDR über den Krieg in der Ukraine. Darüber, wie sich Theater, die Kulturfabrik Kampnagel und die Staatsoper solidarisieren. Hamburgs Ballettchef John Neumeier hat gerade ein Statement zum Ukraine-Krieg veröffentlicht und seine Betroffenheit geäußert. Er ist mit seiner Compagnie im Moment auf Gastspielreise in Los Angeles.
Herr Neumeier, Tanzstars auf der ganzen Welt bekunden gerade ihre Solidarität mit der Ukraine. Wie sind Sie da in Verbindung? Wie wichtig ist das gemeinsame Agieren?
John Neumeier: Wir haben im Ensemble ukrainische Tänzer. Wir versuchen für sie, für ihre Familien, die im Ausland sind, zu tun, was wir können. Es gibt auch viele Meldungen von ukrainischen Tänzern und russischen Tänzern, die Russland verlassen haben, die ihr künstlerisches Leben weiterführen wollen. Das ist die große Frage im Moment, wie man denen hilft - nicht nur, dass sie eine Unterkunft bekommen, sondern dass sie ihr künstlerisches Leben weiterführen können.
Jetzt hat in Paris ein Theater das Ballett aus Kiew aufgenommen, die gerade auf Frankreich-Tournee waren. Auch Sie bieten Hilfe an: Es wird in Hamburg keinen hilfsbedürftigen Künstler oder Menschen geben, dem Sie nicht versuchen würden zu helfen, haben Sie geschrieben. Was heißt das genau?
Neumeier: Das heißt genau, dass wir versuchen werden konkret zu helfen. Es wäre kein Problem unser Ballett-Zentrum aufzumachen, damit sie da trainieren können. Wir haben aber keine Chance auf Sonderverträge, um sie unterzubringen. Ich tue mein Bestes, damit irgendein Kulturetat etwas Geld freigibt für Extraverträge. Denn das wäre wirklich der Weg um diesen Künstlern zu helfen. Aber, das alles ist für uns alle wirklich so überraschend gekommen.
Es ist auch nicht so, dass man jetzt einfach zehn Verträge hat, die vorher versteckt waren und auf einmal kann ich sagen: Ich kann jetzt zehn Tänzer extra engagieren. Man muss da realistisch rangehen. Ich versuche alles, was ich kann, damit sie ihre künstlerische Laufbahn weiterführen können - das ist das Wesentliche. Wie das genau aussieht, kann ich im Moment hier in Los Angeles wirklich nicht sagen.
Was hören Sie denn aus Hamburg? Sind Tänzerin und Tänzerin aus der Ukraine oder aus Russland denn hier schon angekommen?
Neumeier: In Hamburg, soviel ich weiß, noch nicht. Wir haben nur Anfragen per E-Mail bekommen - das sind eigentlich Tänzer die Engagements suchen.
Wie überschattet dieser Krieg in der Ukraine das Hamburg Ballett? In der Compagnie sind ja Tänzer mit ukrainischen Wurzeln.
Neumeier: Das überschattet schon sehr. Wir, und ich persönlich, haben ein sehr offenes Verhältnis mit Russland. Ich habe öfter dort gearbeitet. Ich habe eine wirklich gute Beziehung zum Bolschoi-Ballett. Aber im Moment ist alles kaputt. Man hat ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass ich für mein 50-jähriges Jubiläum das Bolschoi-Ballett nach Hamburg einladen wollte. Aber, das ist fast ein unmöglicher Gedanke im Moment. Das ist so wahnsinnig unfair, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein einziger Tänzer interessiert ist die Ukraine zu übernehmen.
Aber die Propaganda in Russland ist verheerend. Und auch unsere Beziehung zu China, das muss man ganz ehrlich sagen, ist total zerstört. China ist im Moment ein großer Partner von Russland. China verbreitet falsche Informationen über diesen Krieg - es ist alles für uns sehr schwierig. Wir haben zum Beispiel eine Premiere: "Bernstein Dances". Ein im Großen und Ganzen ziemlich heiteres Stück. Es ist für mich und für unsere Tänzer wirklich schwer, dass jetzt über die Bühne zu bringen. Die zweite Premiere ist die Matthäus-Passion. Ich finde, dass die Matthäus-Passion und die Werte, die in diesem Werk vorkommen - diese Essenz des Werkes - hat leider sehr viel Relevanz in der heutigen Situation.
Sie haben jetzt gerade schon die schwierige Situation des Bolschoi-Theaters angesprochen. Wie sehen Sie den Umgang mit russischen Künstlern? Wie sollte der in diesen Zeiten stattfinden?
Neumeier: Ehrlich gesagt, ich habe noch keine Antwort, denn ich kenne natürlich viele Künstler persönlich. Ich glaube, dass ich sie gerne nach Hamburg einladen würde. Auf der anderen Seite ist es einfach unmöglich vom Prinzip her - im Moment.
Das Gespräch führte Patricia Seeger.
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