Schlangenkopf © Screenshot NDR

Welche Tiere machen dem Menschen Angst? Ein Bestiarium in Buchform

Stand: 17.03.2024 06:00 Uhr

Ob die Angst vor Schlangen oder der Ekel vor Spinnen: Das menschliche Verhältnis zu vielen Tieren ist von tiefer Ablehnung geprägt. Der Philosoph und Puppenspieler Stephan Wunsch porträtiert in "Verrufene Tiere" zehn dieser schlecht beleumundeten Tiere.

von Anett Friedrich

"Dies ist ein Körper wie eine Waffe, mit dem brutalst möglichen Gebiss. Es ist die schiere Möglichkeit, die der Hai hat, die uns erschaudern lässt": So beginnt das Bestiarium der verrufenen Tiere und lässt schon ahnen, dass es hier um sehr viel mehr als die rein naturkundliche Beschreibung von Tieren - von Bestien - wie dem Hai geht. "Zunächst ist der Hai offensichtlich erschreckend und gefährlich, obwohl tatsächlich nur recht wenige Menschen von Haien gefressen werden", erzählt der Autor Stephan Wunsch. "Der Hai ist aufgeladen durch seine Brutalität. Das fasziniert auch manche Menschen. Ich habe ihn verglichen mit einer Waffe. Viele Autos haben ein Haigesicht: Wenn so ein Auto mit Haigesicht auf der Autobahn von hinten herangeflogen kommt, denkt man, es will einen fressen. Das will es auch. Dann steigt meistens ein junger Mann am Ende aus - testosterongeschwängert."

Interessant ist, was Angst macht

Cover von "Verrufene Tiere" von Stephan Wunsch © Matthes & Seitz Berlin
Mit seinem Buch "Verrufene Tiere" setzt sich Stephan Wunsch für einen besseren Ruf von zehn Tierarten ein.

Kaum ein Tier taugt so für Schauergeschichten wie der Hai, obwohl es nur wenige Unfälle mit ihm gibt. Warum haben einige Tiere, wie zum Beispiel der Hai, einen so schlechten Ruf? "Viele Menschen interessieren sich für Tiere - eigentlich alle Menschen. Dann fiel mir auf, dass man von den schlecht beleumundeten Tieren besonders gerne erzählt. Da war ich neugierig. Meine Vermutung war, dass dahinter alles steckt, was dem Menschen Angst macht, was sein Sein schwierig macht: Ängste, Selbstzweifel", sagt Wunsch.

Zehn Tierarten widmet sich Stephan Wunsch, die uns Menschen ein Grauen sind: darunter die undurchschaubaren Spinnen, die falschen Schlangen, giftige Quallen, besitzergreifende Kraken, hinterhältige Hyänen und auch Fledermäuse, die Kopf stehen und heimtückisch im Schatten der Nacht angreifen und womöglich in unseren Hälsen nach Blut suchen. "Ein sehr schönes Beispiel ist die Fledermaus, eines der harmlosesten Tiere, das man sich denken kann und das sich lebensweltlich kaum mit dem Menschen berührt. Kaum ein Volksglaube, der nicht ganz viel über diese Tiere zu sagen wüsste: dass sie mit dem Teufel im Bunde stehen, dass man sie gebrauchen kann, um Hexenzauber zu vollziehen", erklärt Wunsch. "Das ist ein armes, kleines Tier, das mit so viel Aberglaube aufgefüllt und angereichert wurde."

Fremdartigkeiten und Ähnlichkeiten als Auslöser von Furcht

Spinnen sind das rätselhafteste Tier in der Sammlung, sagt Stephan Wunsch, denn von ihnen geht nahezu keine Gefahr für den Menschen aus. Es gibt nur sehr wenige wirklich giftige Spinnen - und doch ist die Spinnenangst die verbreitetste unter den Phobien, sagt Wunsch: "Das, was mich interessierte - nämlich die irrationale Aufladung der Tiere mit Furcht -, war bei der Spinne am deutlichsten zu finden, weil die Diskrepanz am größten ist. Es hat sicher etwas mit der völligen Fremdartigkeit der Spinne zu tun: wie sie sich bewegt, komplizierte Netze webt, sehr schnell Beute einwickelt. Die Spinne weiß genau, was sie tut. Schon Kierkegaard hat die Spinne als Metapher benutzt, sich mit einem Seil in die Tiefe zu stürzen, in die eigenen Konsequenzen. Wir hadern und zweifeln."

Der hadernde, ängstliche Mensch - vielleicht das verrufenste Tier unter Tieren? So weit wollte Stephan Wunsch dann doch nicht gehen, aber er hat nur kurz davor haltgemacht: Affen sind die finale Tierart seines Bestiariums. Mit ihnen werden die menschlichen Makel und Wunden vielleicht besonders augenfällig, meint Stephan Wunsch, "weil die Affen Tiere sind, die uns ganz besonders zu denken geben und unser menschliches Selbstverständnis infrage stellen. Ich glaube, das war schon in der Antike so. Da hat man sich Geschichten von Affen erzählt, die sehr schlau sind und sehr viel können, damit aber nur Unsinn machen. Im Mittelalter hat man Geschichten von lasterhaften Affen erzählt, die saufen und Unzucht treiben. Später hat Darwin durch die Evolutionstheorie die Affen nah an uns herangerückt und das wurde vielen Zeitgenossen dann ganz unangenehm. Wenn wir Affen im Zoo sehen, sehen wir, wie ähnlich sie uns sind, aber auf die allerpeinlichste Art. Sie grunzen, schmatzen, kopulieren, bewerfen sich, streiten sich und schlagen sich."

"Verrufene Tiere": Über die Abgründe unserer Psyche

Mit großer Fachkunde und noch größerer Lust an der Assoziation porträtiert Stephan Wunsch jene Tiere, die einen besonders schlechten Ruf haben und enttarnt dabei, was das mit den Abgründen unserer Psyche zu tun hat. Das Buch ist eine große Freude, in Sprache, Stil, Erkenntnisgewinn und - na klar - auch deshalb, weil es am Ende mit dem für uns Wichtigsten zu tun hat: mit uns.

"Ich wollte ein Buch im Sinne der klassischen Bestiarien schreiben - Interessantes, Kurioses über Tiere erzählen, samt einer Deutung", sagt Wunsch. "Mich interessierte auch die Bedeutung der Tiere für uns. Herausgekommen ist eine Menschenkunde, ein Katalog menschlicher Nöte."

Weitere Informationen
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Verrufene Tiere. Ein Bestiarium menschlicher Ängste

von Stephan Wunsch
Seitenzahl:
238 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Matthes & Seitz Berlin
Veröffentlichungsdatum:
2023
Bestellnummer:
978-3-7518-4000-2
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 18.03.2024 | 22:45 Uhr

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Sachbücher