Sendedatum: 18.10.2014 10:50 Uhr

"Poesiealben sind was für Mädchen"

Profilbild von Dr. Wolfgang Psychologe © Dr. Wolfgang Krüger Foto: Dr. Wolfgang Krüger
Der Freundschaftsforscher Dr. Wolfgang Krüger erklärt die Faszination Poesiealbum.

Poesiealben haben eine Faszination, die auch heute noch anhält. Dr. Wolfgang Krüger ist Psychologe und Freundschaftsforscher in Berlin. Er erklärt, wie wichtig solche Rituale sind und welche Auswirkungen die Wahl des Spruches haben. Im Interview mit NDR 1 Niedersachsen erzählt er, warum Poesiealben gerade in der heutigen Zeit noch von großer Bedeutung sind, zumindest für Mädchen.

Sind Poesiealben immer noch "in"?

Dr. Wolfgang Krüger: Ja, die sind immer noch aktuell. Seit 150 Jahren gibt es Poesiealben. Sie haben eine große Bedeutung. Von den Sprüchen her sind sie sehr einfach gehalten. Oder es sind moralische Sätze drin wie "Lebe Deine Träume, aber verträume nicht Dein Leben". Die Mädchen schauen sehr genau darauf, wer sich darin verewigt hat. Es ist ein wichtiges Freundschaftsritual. Der Reiz dabei ist, auf andere zuzugehen. Ich lerne die Grundbedingung, wie Freundschaft entsteht. Am Beginn der Pubertät lerne ich zu sagen: Du bist mir wichtig, bitte mache mit. Sie müssen lernen, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen und zu fragen: Willst Du mein Freund sein? Das fällt vielen sehr schwer.

Sie sagen, es ist ein Freundschaftsritual. Warum ist es so wichtig?

Krüger: Es ist ein Ritual, genauso als wenn ich meine Freunde zum Geburtstag einlade. Ein Ritual ist eine bestimmte Technik, etwas, worüber ich nicht lange nachdenke. Das bewirkt, dass sich eine Beziehung durch ein Ritual vertieft. Und diese Freundschaften halten häufig auch ein Leben lang. Aber ich frage mich, warum schreiben wir als Erwachsene den besten Freunden keine Freundesbriefe? Ich selber habe das Ritual und gehe jeden Monat mit Freunden ins Kino. Rituale sind wiederkehrende Dinge, die uns das Leben erleichtern.

Wie wichtig ist im Poesiealbum die Wahl des Spruches?

Krüger: Sprüche sind meist naiv oder am Rande des Kitsches. "Tief im Moose verborgen, blüht ein Blümlein ohne Sorgen. Dieses Blümlein spricht: Lebe wohl, vergiss mich nicht!" Wenn man etwas älter ist, wundert man sich, was man da alles reingeschrieben hat. Ich muss der Freundschaft Ausdruck verleihen. Das ist wichtig. Die Sprüche selbst muss man dabei nicht so wichtig nehmen. 

Wie wichtig sind Freundschaften in der heutigen Zeit?

ein Poesialbum © ndr.de Foto: ndr.de
Das Poesiealbum lässt Freundschaften aufblühen.

Krüger: Freundschaften werden immer wichtiger. Wir suchen heute Beziehungen mit einer großen Freiheit und gleichzeitig einer großen Verbindlichkeit. Wir haben eine tiefe Sehnsucht nach Herzensfreundschaften. Frauen erreichen das auch. Zwei Drittel der Frauen haben eine tiefe Freundschaft. Nur ein Drittel der Männer haben eine Freundschaft, in der sie auch über Schwächen und Ängste reden können. Das ist das Fiasko. Weil Männer zu wenige Freundschaften haben, sind sie unendlich abhängig von Frauen. Sie stürzen aber in eine tiefe Krise, wenn sich Frauen trennen. Daran müsste "Mann" arbeiten.

Ist das ein typisches Männerproblem?

Krüger: Ja, weil Frauen viel besser über Gefühle reden können. Männer sind im Leben oft Helden und Hirsche. Wenn wir Männer uns treffen, sprechen wir erst einmal darüber, was alles toll läuft. Und dann entsteht erst einmal eine Stimmung von Rivalität. Frauen sprechen über ihre Schwächen, dass sie nicht mehr in den Badeanzug reinpassen oder dass ihre Ehe nicht läuft. Frauen sind offen, da entsteht eine Stimmung von Solidarität. Das müssten sich Männer mal abgucken.

Aber Poesiealben sind ja trotzdem nichts für Jungs, oder?

Krüger: Nein. Das passt nicht zu Jungs. Diese kleinen Bildchen und Herzchen haben etwas Anrührendes. Ich habe das Poesiealbum meiner Großmutter gefunden. Das ist etwas Bewegendes. Meine Tochter hat auch eins. Und die meisten die sich dort verewigt haben, waren auch bei ihrer Hochzeit 17 Jahre später dabei. Das ist was für Mädchen.

Das Interview führte Dirk Plasberg, NDR 1 Niedersachsen

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | 18.10.2014 | 10:50 Uhr