Skifahrer auf einem schmalen Schneestreifen inmitten einer gründen Landschaft © IMAGO / ActionPictures

Wintersport im Schwitzkasten - Klimakrise verlangt Reformen

Stand: 09.11.2022 09:55 Uhr

Die Folgen des Klimawandels machen auch dem Wintersport zu schaffen. Alternativen sind gefragt. Aber sind neue Weltcup-Termine und Matten statt Schnee die Lösung? Asiatische Winterspiele in Saudi-Arabien sind es auf jeden Fall nicht.

von Andreas Bellinger

Gletscher schmelzen und der Schnee wird knapp. Die Folgen des Klimawandels sind dramatisch - und sie haben auch den Wintersport in den Schwitzkasten genommen. Zunehmend deutlich wird das in der gerade beginnenden Saison, vor allem im alpinen und nordischen Skisport.

Ein Skispringer landet auf einer grünen Matte. © IMAGO / Mateusz Birecki
Grüne Matten beim Skispringen - für Kunstschnee war es zu warm.

Auch die größten Optimisten können die Probleme nicht mehr wegdiskutieren. In einem der wärmsten Herbst-Monate, die je gemessen wurden, sind alpine Rennen wegen grüner Pisten ausgefallen und Trainingslager in die Halle verlegt worden. Die Weltelite der Skispringer landete bei ihrem frühesten Start in den Winter am ersten November-Wochenende in Wisla/Polen auf Matten, die nicht einmal weiß waren. Für Kunstschnee aus der Kanone war es zu warm.

Wagner: "Wir sind alle Täter"

"Man muss sich Gedanken machen, wie und wo man perspektivisch den Sport noch ausüben kann", sagt der Hamburger Stefan Wagner dem NDR. Der Mitgründer der Initiative Sports for Future ist weit davon entfernt, Wintersport per se zu verurteilen. "Der Wintersport hat sich nur eher und direkter damit auseinanderzusetzen als andere, die es auch tun müssten."

Es gebe keinen Grund, allein den Sport an den Pranger zu stellen. "Wir sind alle Täter", so der Vorsitzende des 2019 gegründeten Vereins, der den Klima- und Umweltschutz im Sport fördern will. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) formuliert es anlässlich der Weltklimakonferenz in Ägypten noch viel drastischer: "Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu."

Neureuther: "Dachte, Olympia in Peking ist der Wahnsinn"

"Immer extremer und immer früher ist der falsche Ansatz", mahnt der frühere deutsche Skistar Felix Neureuther in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Während jedoch in Saas-Fee der zum Sommer-Training gern genutzte Gletscher wegen Schneemangels zeitweise geschlossen werden musste und die als "ikonisch" angekündigten ersten grenzübergreifenden Weltcup-Abfahrten von Zermatt (Schweiz) nach Cervinia (Italien) ausfielen, wurden die asiatischen Winterspiele 2029 in den Wüstenstaat Saudi-Arabien vergeben. Allen Ernstes. "Dabei dachte ich, Olympia in Peking wäre der Wahnsinn gewesen", so ARD-Experte Neureuther.

Geld und Macht haben Werte des Sports im Klammergriff

Winterspiele in der Wüste? "Absurd", nennt Wagner das Vorhaben und ein Zeichen dafür, dass manchen Machern an der gesellschaftlichen Verantwortung überhaupt nichts gelegen ist. Während Vertreter aus annähernd 200 Staaten in Ägypten den 27. Versuch starten, das Klima zu retten, geht es mancherorts offenbar nur um "Geld, Macht und ähnliche Dinge", so Wagner.

"Doch damit gibt der Sport die Möglichkeit auf, glaubwürdig seine besonderen Werte zu pflegen und verliert möglicherweise seine gesellschaftliche Relevanz." Dabei sollten sich alle den Realitäten stellen und auch die Interessen der Veranstalter sowie regionaler und touristischer Anbieter berücksichtigen. "Aber", so Wagner, "sicher nicht, indem man noch mehr Rennen macht in noch wärmeren oder schneeärmeren Regionen."

Hochglanz-Spektakel am Matterhorn geplatzt

Tolle Bilder und einen einzigartigen Wettkampf in grandioser Landschaft und Atmosphäre hatte Johan Eliasch, der Präsident des Weltskiverbandes FIS, vor dem geplanten Zermatt-Cervinia-Rennen versprochen. Ein Hochglanz-Spektakel in der alpinen Abfahrt sollte am Matterhorn den Aufbruch in eine neue Ära markieren. Aber der schmelzende Schnee machte alles zunichte. Nur Pech? Mit der Terminierung der Rennen zu einem so frühen Zeitpunkt "haben wir einen Fehler gemacht", so FIS-Renndirektor Markus Waldner. "Wir müssen die Natur respektieren."

DSV-Sportchef Maier: "Die Natur macht die Vorgaben"

Ob er Eliasch, den schwerreichen und als durchaus umstritten geltenden schwedisch-britischen Geschäftsmann, mit seiner (Selbst-)Kritik erreicht hat? Allein steht Waldner jedenfalls mit seiner Forderung ("Für die Zukunft müssen wir unbedingt die Termine überprüfen") nicht. Wolfgang Maier, der Sportvorstand des Deutschen Skiverbandes, stößt ins selbe Horn: "Die Natur macht die Vorgaben, wir müssen das akzeptieren". Erste Konsequenz sollten Weltcups nur noch zwischen "Anfang, Mitte November bis Mitte März" sein.

Snowboard in der Skihalle

Mitunter mag man sich wundern, mit welcher Beharrlichkeit hier und da der Klimawandel ignoriert und versucht wird, sich sogar als Opfer zu postulieren. "Weil der Sport nicht mehr so wie früher ausgeübt werden kann", so Wagner. Dabei gebe es aber auch Beispiele wie die deutschen Snowboarder, die in der Vorbereitung nicht mehr auf den Gletscher gehen oder zum Training nach Südamerika fliegen.

"Dann wären wir ja Teil des Problems und nicht der Lösung", wird Snowboard-Germany-Präsident Hanns Michael Hölz in der "Berliner Zeitung" zitiert. "Erstmalig waren wir in einer Skihalle in Holland", sagt Snowboardcross-Gesamtweltcupsieger Martin Nörl.

Auf Rollen zum Biathlon

Die Ski-Arena in Oberhof ohne Schnee. © IMAGO / Steve Bauerschmidt
Die Ski-Arena in Oberhof ohne Schnee.

Unter dem Hallendach statt in den Alpen übten auch die Biathleten - und das verstärkt auf Skirollern. "Ich wollte eigentlich ein paar Tage nach Davos", so Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick, die sich schließlich in der Skihalle im thüringischen Oberhof fit für den Winter machte.

Abgesehen von den wegen des Krieges in der Ukraine immens gestiegenen Energiekosten, die auch den Sport belasten, haben es die nordischen Ski-Athleten natürlich leichter als ihre Alpin-Kollegen. Biathlon-Bundestrainer Mark Kirchner: "Wenn du konditionell fit bist, ist es egal, ob du auf Skirollern unterwegs bist oder auf Ski." Das Feeling auf Schnee komme rasch; zwei Wochen vor dem Saisonstart am 29. November in Kontiolahti sollten dafür reichen.

Schneekanonen - ein Paradoxon

"Die Gesamtproblematik ist präsent und es weiß aktuell keiner, wo die Reise hingeht", meint Kirchner. "Man muss schauen, wo man da seinen Beitrag leisten kann, effizienter zu werden." Schneekanonen werden gerne genutzt, um die Rennstrecken mit Kunstschnee zu präparieren. Für Wagner verschlimmern sie das Problem aber nur: "Weil man seinen Sport erhalten will, vergrößert man die Energie- und Klimakrise. Das ist paradox." Tatsächlich ist der Verbrauch an Wasser, das aus Speicherseen am Rande der Pisten kommt, und an Strom enorm.

"Um die Pistenfläche von einem Hektar zu beschneien, werden etwa drei Millionen Liter Wasser benötigt. So viel, wie in 20.000 Badewannen passt", heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. "Auch die notwendige Energie ist beträchtlich: Für eine Saison Beschneiung aller Skigebiete der Alpen würden 2.100 Gigawattstunden verbraucht. Das sei in etwa der Stromverbrauch von 500.000 Haushalten pro Jahr."

Winter kürzer und weniger frostig

Wissenschaftlich unbestritten ist auch, dass die Winter in den Alpen milder geworden sind. Und sie werden im Schnitt noch kürzer sein. "Man macht sich Sorgen, aber ich glaube nicht, dass der Wintersport gänzlich aussterben wird", sagt die dreifache Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch im "Tagesspiegel". "Vielleicht muss der Rennkalender angepasst werden." Erste Solar-Seilbahnen sind in der Erprobung und könnten wie Skibusse oder auch Pistenraupen ihre Energiebilanz verbessern.

Schneefallgrenze steigt - schwere Zeiten für Ski-Ressorts

Ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn der Schweizer Klimatologe Reto Knutti recht behält: "Gletscher sind ein Ding der Vergangenheit, dessen muss man sich bewusst sein", so der Professor für Klimaphysik in der "Neuen Zürcher Zeitung". "Die Schneefallgrenze wird wahrscheinlich in den nächsten 40 bis 50 Jahren um weitere 400 Meter steigen. Für einige traditionelle Ski-Ressorts dürfte es schwierig werden."

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Der Umweltrat des Deutschen Ski-Verbandes sieht das ähnlich: "In Gebieten unter 1.200 bis 1.500 Metern wird es weniger Schnee geben, in Lagen darüber aber auch mehr."

Es muss endlich gehandelt werden

Wenn die Skifahrer in der Zukunft noch auf echtem Schnee trainieren und Rennen bestreiten wollten, müsse der Alpin-Kalender zwingend nach hinten verschoben werden, bilanziert der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut. "Je weiter wir in die Zukunft schauen, desto unwahrscheinlicher werden Sommerskigebiete auf Gletschern sein", prognostiziert der Bremer Uni-Professor.

Probleme allenthalben für den Wintersport - und sie können nicht vom Schnee verweht werden. Wagner weiß das und mahnt im NDR-Gespräch, dass endlich gehandelt werden muss: "Dass wir in einer Krise stecken, wissen wir nicht erst seit diesem Winter."

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 05.11.2022 | 16:17 Uhr

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