Eine Frau schüttet sich rote Pillen in den Mund © picture alliance / dpa | Friso Gentsch

Schmerzmittel wie "Smarties" - Spitzensport und das Pillen-Problem

Stand: 14.06.2022 11:55 Uhr

Ohne "einige entzündungshemmende" Mittel hätte Tennisprofi Rafael Nadal nicht seinen 14. French-Open-Titel gewinnen können. Spitzensport ohne Schmerzmittel scheint kaum noch möglich. Es ist ein gefährliches Spiel mit den Pillen, das zeigt vor allem das Beispiel Ivan Klasnic.

Mediziner warnen schon lange, doch in der Welt der körperlichen Topleistungen, in der es neben sportlichen Ehren auch um sehr viel Geld geht, finden die mahnenden Worte kaum Gehör. Eine Spritze hier, eine Tablette da: Viele Spitzensportler lindern mit allen Mitteln ihre Schmerzen, um am Start und auf dem Platz sein zu können.

Ohne die Hilfe der Pharmaprodukte hätte Nadal mit seinem Problemfuß jüngst nicht den Titel in Paris holen können. Fußballstar Zlatan Ibrahimovic überstand einen Großteil der abgelaufenen Meistersaison des AC Mailand mit kaputtem Kreuzband nur dank Schmerzmitteln. Liverpools Thiago kickte nach einer schmerzlindernden Injektion mit taubem Fuß im Finale der Champions League.

Funktioniert Spitzensport noch ohne Schmerzmittel?

Die Entwicklung ist alarmierend. Ärzte und Dopingexperten warnen vor dramatischen gesundheitlichen Folgen und fordern einen sensibleren Umgang mit Ibuprofen und Co. - an Besserung glauben sie allerdings nicht. Es geht um Pillen, die Fieber senken, Entzündungen hemmen oder Schmerzen betäuben, sogenannte nichtsteroidale Anti-Rheumatika (NSAR). Mittel, deren Wirkstoffe zu schwach sind, um auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu landen und die meist rezeptfrei zu bekommen sind.

"Außer in Sondersituationen, wie bei chronischen Schmerzen bei Nadal, werden die Mittel von Profis oft prophylaktisch genommen. Das ist Missbrauch", sagt Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Der Experte schätzt, dass je nach Sportart und Kategorie mittlerweile mehr als 50 Prozent der Teilnehmer regelmäßig Schmerzmittel nehmen.

Warnendes Beispiel Ivan Klasnic

Der ehemalige Profi-Fußballer Ivan Klasnic ist einer der bekanntesten Sport-Fälle beim Schmerzmittelkonsum und dessen Folgen. Er sei "toxisch vergiftet" worden, sagt der frühere Spieler von Werder Bremen und dem FC St. Pauli. "Weil ich Schmerzmittel bekommen habe, die ich nicht bekommen durfte." Die Medikamente hätten seine Nieren kaputt gemacht und zu drei Nierentransplantationen geführt. Ein Rechtsstreit mit seinen ehemaligen Medizinern endete 2020 mit einem Vergleich.

"Ich bin toxisch vergiftet worden. Weil ich Schmerzmittel bekommen habe, die ich nicht bekommen durfte." Ex-Fußballprofi Ivan Klasnic

Neben Nieren- nennt Bloch vor allem "Leber- und Gefäßschäden" als mögliche Folgen von Dauermedikation. "Und bei Ausdauersportlern wie Marathonläufern, bei denen es im Magen-Darm-Trakt ohnehin häufiger zu Mikroblutungen kommt, können nichtsteroidale Anti-Rheumatika die Blutungen verstärken." Zudem könnten die Mittel den Heilungsprozess nach Verletzungen beeinflussen. "Regenerationsfähigkeit des Gewebes ist mitunter eingeschränkt", erklärte Bloch.

Kroos: "Sechs Monate unter Schmerzmitteln gespielt"

Die Liste von Sportlern, die zu Schmerzmitteln greifen, lässt sich beliebig fortführen. Fußball-Weltmeister Toni Kroos offenbarte im vergangenen Jahr, verletzungsbedingt "sechs Monate unter Schmerzmitteln" gespielt zu haben. Basketball-Legende Dirk Nowitzki erklärte 2016 zwar, dass er keine Schmerztabletten einwerfen müsse - "andere ältere Veteranen" hätten das jedoch gemacht.

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So sehe oft der Alltag im Leistungssport aus, sagte Bloch und berichtete von Vereinen, in denen Schmerzmittel üblich seien. "Das ist wie eine Schale Smarties, fast jeder greift zu."

Ibuprofen im Fußball an der Tagesordnung

Eine Untersuchung der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) im deutschen Profi-Fußball zeigte, dass zwischen den Spielzeiten 2015/2016 und 2019/2020 im Durchschnitt jeder dritte Athlet im Männer- und Frauenbereich vor Spielen Schmerzmittel zu sich nahm. Vor Partien im DFB-Pokal liege die Männer-Quote sogar bei 40 Prozent. So hoch sei auch der Anteil bei Frauen; laut Studie nahmen vier von zehn Fußballerinnen Schmerzmittel. In den Junioren-Bundesligen seien es 14 Prozent. Am deutlich häufigsten sei Ibuprofen konsumiert worden.

Ist das schon Doping?

Experten diskutieren immer wieder, ob Schmerzmittelmissbrauch Doping ist. "Kritisch. Im Prinzip geht's um Leistungssteigerung", so Bloch.

"Bei hoher Belastung erreichen Sportler eine Schmerzgrenze. Durch die Einnahme von Schmerzmitteln versuchen viele, diese Grenze zu verschieben, um länger Leistung zu bringen." Sportmediziner Wilhelm Bloch

Warum also nicht die Substanzen auf die Doping-Liste setzen? "Das ist ein hoffnungsloser Kampf. Beim Schmerzmittelthema ist man im Prinzip machtlos", sagte Dopingexperte und Pharmakologe Fritz Sörgel. "Das würde bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, wenn man keine Schmerzmittel nehmen dürfte."

Nada setzt auf Aufklärung statt Verbote

Statt Verbote zu erteilen, versucht die Nada mit Athleten über die Gründe und Auswirkungen von Schmerzmittelmissbrauch zu sprechen und sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Neben verhaltenspräventiven Maßnahmen brauche es zusätzlich ein verändertes Verständnis im System - im Umfeld von Sportlerinnen und Sportlern genauso wie in der Gesellschaft, teilte eine Sprecherin mit.

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Sport aktuell | 14.06.2022 | 10:23 Uhr

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