Boris Herrmann im Sportclub © Screenshot

Herrmann pausiert beim Ocean Race - für die Dynamik im Segel-Team

Stand: 10.04.2023 10:57 Uhr

Boris Herrmann nimmt beim Ocean Race eine Auszeit, vertraut seiner Segel-Crew und lässt wie geplant Will Harris auf der vierten Etappe rund um den Globus ans Ruder. "Die Teamdynamik fördern", nennt das der Malizia-Skipper aus Hamburg.

von Andreas Bellinger

Heimaturlaub, festen Boden unter den Füßen und mal wieder in andere Gesichter sehen: Boris Herrmann genießt seinen Landgang und die Pause beim legendären Ocean Race, das am 23. April mit der vierten Etappe von Itajaí in Brasilien nach Newport an der US-Ostküste in die entscheidende Phase startet.

Ohne den Skipper allerdings, der die Verantwortung wie schon auf der zweiten Etappe, als ihn ein verbrühter Fuß ausgebremst hatte, in die Hände des Briten Will Harris legt. "So wie geplant und gewollt", erzählt der 41-Jährige gut gelaunt im NDR Sportclub.

Spannender Schachzug fürs Team

Nach dem Sieg auf der 12.750 Seemeilen langen Königsetappe durchs Südpolarmeer, mit dem sich die Malizia (14 Punkte) hinter der Schweizer Holcim (19 Punkte) auf Platz zwei im Feld der fünf Imoca-Yachten festgesetzt hat, gönnt sich der Wahl-Hamburger aus dem niedersächsischen Oldenburg eine Auszeit bei der Familie. Abstand für den Familienvater - und womöglich ein taktisch kluger Schachzug, "weil ich das aus Gründen der Teamdynamik sehr spannend finde".

Kuiper: "Haben Itajaí als Tiere erreicht"

Tatsächlich war der Plan schon lange geschmiedet. Nach der Rückkehr von der Vendée Globe habe er mit seiner Frau überlegt, was wohl die nächste Herausforderung sein könnte. Ocean Race? Kein Thema für Birte Lorenzen offenbar; den Vorschlag habe sie nur mit einem Kopfschütteln quittiert. "Ich habe mit den Zähnen geknirscht und angefangen zu verhandeln", verrät Herrmann.

Ganz so freiwillig ist die Auszeit dann vielleicht doch nicht? Obwohl die Regeneration laut Rosalin Kuiper dringend notwendig ist: "Wir haben Kapstadt als Menschen verlassen und Itajaí als Tiere erreicht", erzählt die Niederländerin herzhaft lachend im Sportclub.

Malizia-Crew - eine verschworene Gemeinschaft

"Ich vermisse nichts vom Boot", sagt Herrmann, "ehrlich gesagt, bin ich sogar ganz froh, mal runter zu sein und wieder an einem normalen Tisch zu sitzen oder im Bett zu liegen, ohne dass irgendetwas wackelt."

Nur zu verständlich nach 34 Tagen, 17 Stunden, 10 Minuten und 28 Sekunden im bisweilen stürmischen Polarmeer - samt allzu sprichwörtlichem Mast- und Schotbruch. Dabei erwies sich der demolierte Mast, der in schwindelnder Höhe repariert werden musste, nicht als das Aus aller Träume, sondern als Sinnbild der verschworenen Gemeinschaft an Bord, die laut Herrmann "nicht einen Streit" erlebt hat.

Stoischer Navigator und eine Frohnatur

"Wir sind ein klasse Segel-Team", lobt Herrmann. Die Chemie stimmt, die unterschiedlichen Charaktere ergänzen sich blendend. Der ebenso stoische wie geniale Navigator Nicolas Lunven beispielsweise, der für die beeindruckenden (Drohnen-)Bilder zuständige Antoine Auriol oder Sportpsychologin Kuiper aus den Niederlanden, die ihre gute Laune nicht einmal verliert, wenn sie bei schwerer See aus der Koje geschleudert wird, sich das Gesicht demoliert und mit einer Gehirnerschütterung kürzertreten muss.

Weitere Informationen
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"Diese Frohnatur um sich zu haben, hat auch mir sehr geholfen", sagt Herrmann, der bei der Zusammenstellung seiner Crew ganz offensichtlich ein glückliches Händchen hatte.

Team steht im Vordergrund

"Ich bin froh, genau mit diesen Vieren zu segeln. Es sind alles passionierte Segler ohne ein allzu starkes Ego, das einem als Teamplayer im Wege stehen könnte." Dabei will Herrmann verhindern, dass es heißt: Boris und das Ocean Race.

Er weiß genau, dass dies nicht förderlich für die Gruppendynamik wäre - und das Motto deshalb besser lauten solle: Team Malizia segelt das Ocean Race. Wohl wissend, dass der in Video-Botschaften omnipräsente Hochseesegler aus deutscher Sicht weiter das Gesicht der vielbeachteten Regatta rund um den Globus sein wird.

Zusammenspiel muss funktionieren

Dabei wird Herrmann nicht müde zu betonen, dass "bei uns eigentlich jeder ein gleichberechtigter Segler beziehungsweise Seglerin ist". Was sich tagtäglich zeige - nicht nur, wenn ein 30 Zentimeter langer Riss im Mast repariert werden muss.

Das Zusammenspiel aller müsse auch dabei funktionieren, so Herrmann. Kuiper und Harris haben das in 28 Meter Höhe erledigt. Schwindelfrei und im Team mit den anderen, die den Klebstoff angerührt und die mit Harz getränkten Karbonmatten vorbreitet haben. Einigermaßen stressfrei und vor allem ohne Streit. "Eine logistische Feinarbeit des ganzen Teams", so Herrmann, "die allein einen Tag gebraucht hat."

Teamdynamik fördern

Mit seiner Auszeit will der Chef das beispielhafte Miteinander unterstreichen, ein Zeichen setzen. "Die Teamdynamik fördern, indem ich den anderen den Vortritt lasse." Für Landratten mag dies ein bisschen nach "elf Freunde müsst ihr sein" klingen.

Tatsächlich aber braucht es diesen Teamgeist, um den Gefahren der wilden See und den technischen Widrigkeiten der schwersten Regatta der Welt trotzen zu können - und vielleicht tatsächlich bei der erwarteten Zielankunft des Ocean Race am 1. Juli in Genua als erste Yacht in den Hafen einzulaufen.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 09.04.2023 | 22:50 Uhr

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