Box-Legende Weller tot: Der "schöne René" und seine Liebe zu Hamburg

Stand: 23.08.2023 10:56 Uhr

René Weller hat nichts ausgelassen: Boxtitel, Frauen, Showbiz, Gefängnis. Ein Jahr lebte er in Hamburg, trainierte auch danach in der legendären "Ritze". Jetzt ist er im Alter von 69 Jahren gestorben.

von Bettina Lenner

Es war ein kühler Frühlingstag in Hamburg, 2014. Wenige Monate, bevor bei René Weller die Demenzkrankheit diagnostiziert wurde. Auf der Reeperbahn war nicht viel los. Weller zog den Reißverschluss seiner Steppjacke hoch, die dicke Stahlkette am Hals, die er der goldenen vorgezogen hatte ("Die nehme ich, wenn ich gut weggehe"), verschwand im Kragen. "Früher", sagte der damals 60-Jährige fast ein bisschen wehmütig, "bin ich keine fünf Meter gelaufen, dann bin ich angehalten worden mit großem Hallo. Jeder kannte mich."

René Weller in Hamburg © NDR Foto: Bettina Lenner
René Weller vor der Davidwache auf dem "Kiez"...

Früher, das war in den 1970er- 80er-Jahren, als Weller nicht nur der beste Leichtgewichtsboxer Deutschlands war, sondern wie kaum ein anderer Showbiz und Sport verband. Boxtitel, eine exzellente Technik und großartige Beinarbeit zeichneten ihn ebenso aus wie schnittige Sportwagen, schöne Frauen und seine berühmten "heißen Höschen" im Ring. Schließlich landete er sogar im Gefängnis. Der sonnengebräunte Macho mit der überraschend sanften Stimme ließ im Leben nichts aus, liebte es laut und schrill, bediente jedes Klischee. Am Dienstag ist Weller im Alter von 69 Jahren infolge seiner Demenz verstorben.

Auch mit 60 noch kampfbereit

Bei jenem Treffen 2014 wirkte Weller wie aus der Zeit gefallen. Bis zum Bauchnabel hochgezogene Jeans, Westernstiefel, Vokuhila-Frisur (Vorne kurz und hinten lang), dicke Klunker, so flanierte der Pforzheimer an der Außenalster entlang, wo er sich einst die Fitness für seine Fights holte. Reminiszenzen an die Vergangenheit, aber wohl auch eine Art Markenzeichen.

Mehrfach zauberte der "schöne René" Schmuck aus seinen scheinbar bodenlosen Hosentaschen. Das meiste aus Silber. Sich windende Schlangen, Raubkatzen, viel Bling-Bling - dezent ging anders. "Ich habe immer etwas dabei, das ich verkaufen kann", sagte der Ex-Profi, der schon früher mit seiner Gürtel- und Schmuckkollektion ein Händchen für die schnelle Mark bewies.

René Weller an der Außenalster © NDR Foto: Bettina Lenner
... und an der Außenalster.

Alles Geschmackssache? Nicht für Weller. Sein Selbstbewusstsein und sein Glaube an die eigene Stärke waren unerschütterlich - in jeder Hinsicht. "Es gibt heute keine guten Boxer mehr. Wenn ich eine Lizenz bekäme, würde ich sofort noch Kämpfe machen. Aber in Deutschland ist das mit 40 Jahren vorbei", sagte der damals 60-Jährige, der es nach Beendigung seiner Profikarriere mit manch niveaulosem Schaukampf und zweifelhaften Auftritten in TV-Shows weiter in die Schlagzeilen schaffte.

Erst Funkstille, dann Hochzeit

Seine Bemühungen um Medienpräsenz brachten Weller einst den Spitznamen "Westentaschen-Ali" ein. Von seinem Namen habe der zweimalige Europameister (1983 und 1988) gut leben können, sei gefragt gewesen. Immer an seiner Seite: Ehefrau Maria, mit der er seit 2013 verheiratet war. Sie managte den Ex-Weltmeister, der aus einer früheren Beziehung zwei erwachsene Kinder hatte, regelte seine Finanzen. Beide kannten sich ewig, waren schon einmal in ihren Zwanzigern kurz zusammen. Doch eine unter vielen wollte die Niedersächsin nicht sein. Sie ging. Jahrzehntelang herrschte Funkstille, dann kam Weller nach Hannover und eroberte seine Jugendliebe zurück.

"Der René ist ein ganz Lieber"

Maria und René Weller in Hamburg © NDR Foto: Bettina Lenner
Starkes Team: Maria und René Weller.

Schwer vorstellbar, wie Weller je ohne sie ausgekommen sein soll. Sie habe zehn Jahre gebraucht, um Renés Leben aufzuräumen und Schulden einzutreiben, berichtete Maria, während sie ihrem Mann beim gemeinsamen Frühstück im Hamburger Hotel wie selbstverständlich ihr Spiegelei auf den Teller kippte. Es wurde ziemlich schnell klar, um wen sich hier alles dreht - aber auch, wer die Fäden in der Hand hält. "Der René ist ein ganz Lieber, er kann nur seine Gefühle nicht so zeigen", sagte Maria Weller: "Er weiß, was es wert ist, wenn man eine Frau an der Seite hat, die mit einem durch dick und dünn geht. Das andere haben wir ja beide schon hinter uns." Als ihr Mann beim Mittagessen auf Hamburgs "sündiger Meile" die Anekdote zum Besten gab, wie sich zwei Prostituierte um seine Gunst gebalgt haben, amüsierte sie sich köstlich.

"Mein Herz es schreit"

"Mein Herz es schreit", schrieb Maria Weller am späten Dienstagabend auf Instagram, am Todestag ihres Mannes. "Ich bedanke mich für das wunderschöne Leben und unsere einzigartig große Liebe. Niemand kann dich ersetzen, denn so wie du kann niemand mehr sein! Du hast gekämpft wie ein Löwe, aber leider deinen letzten Kampf verloren."

"Zur Ritze" der Lieblingsplatz in Hamburg

René Weller vor der Ritze © NDR Foto: Bettina Lenner
Vor dem Eingang zur "Ritze".

Gleichgesinnte fand Weller seinerzeit in der "Ritze", Hamburgs legendärer Kiez-Kneipe mit Boxring im Keller. Dort sei sein Lieblingsplatz in Hamburg, der Stadt, in der er Anfang der 1980er-Jahre rund ein Jahr bei Box-Promoter Klaus-Peter Kohl in Farmsen lebte. Oft kehrte er zurück: "Ich war immer in der Ritze, wenn ich in Hamburg war. Alles, was Rang und Namen hatte, hat hier trainiert, du warst nie alleine." Aus seiner Nähe zum Milieu hat Weller nie einen Hehl gemacht: "Das waren meine Freunde. Die Leute haben alle bei mir am Ring gesessen, wenn ich geboxt habe."

Was ist Legende, was Wahrheit?

1999 wurde Weller zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Weil er von einer Frau reingelegt worden sei, der er helfen wollte, sagte Weller. Weil er mit Drogen gehandelt hatte, urteilte das Gericht. Das Gefängnis habe ihn nicht verändert, behauptete Weller, und man ist geneigt, das zu glauben. Allzu aufgeräumt wirkte er kurz vor seiner Erkrankung: "Man muss einfach abschalten, und das konnte ich auch. Ich habe das auch durch meinen Sport verarbeitet. Ich durfte mit einer Ausnahmegenehmigung jeden Tag eine Stunde Sport machen. Dadurch habe ich unheimlich viel überbrücken können", erzählt er. Die Zeit im Knast buchte Weller unter dem Kapitel "Lebenserfahrung" ab. Schon früher zeigte er eine musische Seite. Anschließend malte er viel und schrieb Gedichte.

René Weller auf der Reeperbahn © NDR Foto: Bettina Lenner
Erkannt: René Weller mit Fans auf der Reeperbahn.

Nach Hamburg verschlug es ihn nur noch selten, auch wenn er die Stadt sehr liebte. "Hamburg ist wunderschön. Manchmal habe ich sogar so etwas wie Heimweh hierher, obwohl ja kaum noch Leute von damals da sind. Zuletzt waren es leider immer traurige Anlässe, die mich hergeführt haben."

Er durfte sogar in der Herbertstraße übernachten

Zu den Beisetzungen von Hanne Kleine (2011), Box-Weltmeister Eckhard Dagge (2006) und Domenica (2009), für deren Beerdigung er mitspendete, reiste er an. "Das war eine ganz nette Frau. Ich bin einmal über Hanne bei ihr untergekommen, weil wegen einer Messe alle Hotels belegt waren. Sie hat ein tolles Frühstück gemacht. Ich bin wohl der einzige Mann, der jemals in der Herbertstraße übernachten durfte", erinnerte sich Weller an Deutschlands berühmteste Prostituierte: "Seither waren wir befreundet." Ob da etwas gelaufen ist? Weller lacht ausweichend: "Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern."

"Ich wollte immer der Stärkste sein und Spaß dabei haben"

Langweilig wurde es mit Weller nie. Er war Weltmeister, "Pforzheims Ali", bester Boxer Europas, Teilhaber einer Lederfabrik, Goldschmuck-Verkäufer, Großmaul, Frauenschwarm, Männer-Held. Zu seinem 65. Geburtstag sagte er: "Ich wollte immer der Stärkste sein und Spaß dabei haben. Beides hat meistens ganz gut funktioniert."

Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals im Mai 2014 und wurde nun überarbeitet.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 04.05.2014 | 23:15 Uhr

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