Trainer Stephan Lerch von den VfL-Frauen © imago images/regios24 Foto: Darius Simka

VfL-Coach Lerch im Interview: Zum Abschied noch einen Titel

Stand: 14.01.2021 11:50 Uhr

Das letzte halbe Jahr von Stephan Lerch als Trainer der Frauen des VfL Wolfsburg hat begonnen. Ein bisschen hat ihn die Wehmut gepackt, gesteht er im NDR Interview. Doch der 36-Jährige hat noch viel vor. Das erste titellose Jahr - ausgerechnet zum Abschied - ist für ihn keine Option.

Herr Lerch, mit welchem Gefühl sind Sie ins letzte halbe Jahr als VfL-Trainer gestartet?

Stephan Lerch: Ich gebe zu, dass schon ein paar Gedanken in meinem Kopf herumkreisen, wenn ich zur Ruhe komme. Ich habe realisiert, dass es jetzt nur noch ein paar Monate sind, in denen ich hier beim VfL arbeiten darf. Es ist für mich ein Privileg, ein Teil dieses Vereins zu sein. Aber etwas nostalgisch zu werden, bringt ja jetzt nichts. Nun freue ich mich einfach, dass es wieder losgeht.

Konnten Sie in der Winterpause richtig abschalten oder hat die Tabellensituation doch zu sehr im Kopf herumgespukt?

Lerch: Ganz unabhängig von der Tabellensituation kann ich meine Arbeit nicht einfach zur Seite schieben, wenn ich das VfL-Gelände verlasse. Ich nehme viele Dinge gedanklich mit - auch in den Urlaub. Und da kommen mir auch viele gute Gedanken. Ich habe darauf herumgedacht, wie wir die Tabellensituation ändern können. Aber das hat mir keine schlaflosen Nächte bereitet.

Es könnte trotzdem ein trauriger, weil titelloser Abschied werden. Spielt das in Ihren Überlegungen eine Rolle?

Lerch: Ich will die Zeit genießen, die noch vor uns liegt. Ich will aber auch das Bestmögliche herausholen - aus mir und der Mannschaft. Ich hatte so oder so schon eine überragende Zeit beim VfL Wolfsburg. Das hätte ich mir vor einigen Jahren nicht träumen lassen, das nimmt mir keiner mehr. Aber ich bin immer noch sehr motiviert und will am Ende der Saison den einen oder anderen Titel in den Händen halten.

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Ist es überhaupt realistisch, dass Wolfsburg die Bayern noch einholt?

Lerch: Ja, auf jeden Fall! Wir hatten da schon Beispiele im eigenen Haus - auch schon bei sieben Punkten Vorsprung, die dann geschmolzen sind. Wenn wir den FC Bayern, der momentan sehr stabil wirkt, in der Rückrunde schlagen, sind es nur noch zwei Punkte. Und wir wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, auf dem ersten Platz zu stehen und die Verfolger im Nacken zu spüren. Die Bayern müssen Woche für Woche liefern. Diese Situation kennen sie nicht, das müssen sie erst mal hinbekommen. Wir müssen als Jäger den Druck hochhalten. Gerade der März - mit vielen englischen Wochen - wird spannend.

Welche Rolle spielt es für Ihre Mannschaft, dass sie vor leeren Rängen spielen muss? Der VfL hat ja normalerweise deutlich mehr Zuschauer als die übrigen Teams der Liga.

Lerch: Ich habe immer gesagt, dass zum Fußball die Fans gehören. Die fehlen uns natürlich. Es ist wichtig, eine gute Atmosphäre und eine positive Energie von den Rängen auf den Platz zu bekommen. Besonders wenn man vergeblich anrennt, kann die Unterstützung der Fans noch mal Kräfte mobilisieren. Aber auch wenn wir eine vergleichsweise große Anhängerschaft haben, fehlen die Fans allen Clubs. Und wir kennen die Situation leider aktuell nicht anders.

Im Sommer war die Fusion des 1. FFC Frankfurt mit der Eintracht ein großes Thema. Nicht wenige sprachen bereits von einem Dreikampf an der Spitze. Überwintert haben die Hessinnen im Niemandsland der Tabelle...

Lerch: Die Frauenfußball-Landschaft hat sich in den letzten Jahren schon verändert. Auch in dieser Saison sieht man bestimmte Trends. Ich nehme mal die Freiburgerinnen, die jahrelang oben dabei waren. Aber sie haben einige Spielerinnen verloren. Jetzt sind sie eher im Mittelfeld und müssen den Blick immer wieder nach unten richten. Es ist bei vielen erfolgreichen Clubs die Frage, ob die Mannschaft so zusammenbleiben kann.

Und wenn wir jetzt auf die Eintracht schauen: Mit den Bedingungen, die dort geschaffen worden sind, und den Möglichkeiten, die da aus meiner Sicht schlummern, ist es möglich, dauerhaft oben mit dabei zu sein. Diese Nachhaltigkeit traue ich Frankfurt zu. Es muss das Ziel sein, auch mal international zu spielen, also mindestens Dritter zu werden. Aber aktuell hinkt die Eintracht den Erwartungen noch ein bisschen hinterher.

Läuft die Zeit der eigenständigen Frauenfußball-Clubs ab?

Lerch: Da geht der Trend hin. Frankfurt haben wir schon angesprochen. Auch Potsdam kooperiert schon mit Hertha BSC. Ich denke, es ist nur noch ein Frage der Zeit, bis da eine vollständige Fusion vonstattengeht. Ich habe großen Respekt davor, was der SC Sand in den vergangenen Jahren geleistet hat. Aber das wird in dieser Saison schon sehr, sehr schwer. Die SGS Essen ist für mich eine kleine Überraschung. Der große Umbruch mit vielen jungen Talenten scheint zu klappen. Den Essenerinnen traue ich am ehesten zu, sich eigenständig zu behaupten.

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Frust bei den Wolfsburgerinnen Lena Goeßling (l.) und Sara Doorsoun (r.) nach dem Gegentor zum 0:1 durch Eugenie Le Sommer (2.v.l.) im Champions--League-Finale gegen Lyon © picture alliance/DPPI

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Lassen Sie uns noch einmal einen Blick auf das Champions-League-Finale gegen Lyon (1:3) Ende August werfen: Wie schwierig ist es, so eine bittere Niederlage aus den Köpfen zu bekommen - vor allem, weil die neue Saison unmittelbar danach losging?

Lerch: Das war Wahnsinn für den Kopf! Wir kamen am Montag zurück und mussten am Freitag schon wieder in der Bundesliga spielen. Der Spielplan hat keine Möglichkeit gelassen, das richtig zu verarbeiten. Zumal wir gegen Lyon unsere Chancen hatten, auch wenn es am Ende zu wenig war. Wer sich ein bisschen mit der Thematik beschäftigt, weiß, wie wichtig der Kopf im Sport ist. Und der ist hier extrem beansprucht worden.

Es folgten der Abgang von Pernille Harder sowie die vermaledeite Verletztenmisere und auch Almuth Schult fehlte nach der Geburt ihrer Zwillinge noch länger.

Lerch: Das waren alles Hürden, die die Mannschaft wirklich gut genommen hat. Nicht perfekt, sonst hätten wir nicht fünf Punkte Rückstand. Aber ich muss der Mannschaft ein großes Lob aussprechen.

Ob die vielen Verletzungen eine Folge der sehr geringen Pause und der Überbelastung sind, sei mal dahingestellt. Aber durch den Abgang von Harder und den langen Ausfall von Ewa Pajor fehlten uns im Vergleich zur Hinrunde der Vorsaison 27 Tore! Das hat die Mannschaft kompensiert: Mit 15 verschiedenen Torschützinnen - bei 21 Feldspielerinnen, die wir eingesetzt haben.

Stephan Lerch (l.), Trainer der Fußballerinnen des VfL Wolfsburg, und Twente Enschedes Coach Tommy Stroot © imago images / regios24
Stephan Lerch (l.) und sein Nachfolger Tommy Stroot.

Dazu gehört Lena Oberdorf. Bei ihrer Vertragsverlängerung kündigte sie gerade an, die Zukunft des VfL mit prägen zu wollen. Es sieht so aus, als habe diese Zukunft mit ihren 19 Jahren längst begonnen.

Lerch: Ihre Entwicklung ist sensationell. In Essen hat sie nicht auf diesem Niveau trainiert und gespielt. Außerdem ist sie nach ihrem Abitur tatsächlich jetzt erst zur Profifußballerin geworden. Wir freuen uns, dass sie bei uns noch ein paar Schritte nach vorn gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass sie noch lange nicht am Ende ist. Nicht von ungefähr wird sie als eines der größten Talente, wenn nicht als das größte Talent im Frauenfußball bezeichnet. Ihre Vertragsverlängerung ist auf jeden Fall ein sehr starkes Signal nach außen.

Natürlich darf die Frage nach Ihrer persönlichen Zukunft nicht fehlen. Mit Tommy Stroot hat der VfL längst Ihren Nachfolger präsentiert. Doch wie es mit Ihnen weitergeht, ist noch immer nicht bekannt. Jetzt haben Sie die Chance, Licht ins Dunkel zu bringen.

Lerch: (lacht) Das ist nicht der erste Versuch dieser Art - und ich werde auch diese Chance nicht nutzen. Es gibt aktuell nichts zu verkünden. Ich habe meine Entscheidung nicht von heute auf morgen getroffen. Die Richtung ist klar. Aber ich werde mich nicht auf eine Zeitspanne festlegen, sondern mich zu gegebener Zeit dazu äußern.

Das Interview führte Florian Neuhauss

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 06.02.2021 | 14:00 Uhr

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