Stand: 15.04.2018 17:20 Uhr

Eitelkeiten und Unvermögen: Magath rechnet mit HSV ab

Club-Legende Felix Magath hat im großen NDR Interview mit der Vereinsführung und den Spielern des Hamburger SV abgerechnet. "Was mittlerweile unter der Bezeichnung 'HSVer' für den Verein tätig ist, da würde ich diese Bezeichnung nicht verwenden", sagte der 64-Jährige am Sonntag dem NDR Sportclub und NDR 90,3. "Als ich 1976 zum HSV kam, spielten dort etwa 20 Spieler, die darauf stolz waren. Dieser bedingungslose Einsatz für den HSV ist schon lange nicht mehr zu sehen."

Vor allem aber auf Führungsebene sieht der ehemalige Spielmacher die Gründe für den Absturz, der am Ende der laufenden Saison aller Voraussicht nach im ersten Bundesliga-Abstieg der Clubgeschichte gipfeln wird. Eine Konsequenz aus jahrelangem Fehlmanagement mit den stets falschen Sündenböcken: "Seit 20 Jahren sind es nur die Trainer, die jedes Jahr drei, viermal gewechselt werden, wenn es geht. Wo das hinführt, sieht man jetzt beim HSV. Es wird überhaupt nicht darüber gesprochen, dass ständig Geld verschleudert wird für eigenes Unvermögen. Die Verantwortung dafür trägt niemand."

Magath monierte, dass sich die Beteiligten seit Jahren nicht in den Dienst des Vereins stellten, sondern vielmehr versuchen würden, sich mit dem Ruhm und Namen des Clubs persönlich zu schmücken. "Der HSV ist ein großer Traditionsverein, der früher große Erfolge gefeiert hat. Jeder, der sich hier zur Verfügung gestellt hat, wollte damit glänzen. Der HSV hat immer auf die Personen abgestrahlt, die ihn vertreten haben. Aber ich habe lange keinen mehr gesehen, der etwas für den HSV gemacht hat." Und der aktuelle Trainer Christian Titz? Magath: "Ich kann die Qualität seiner Arbeit nicht wirklich beurteilen. Aber was ich bisher gehört habe, ist es auch wieder so, dass Herr Titz vom HSV lebt und nicht der HSV vom Herrn Titz."

Es ist ein Jammer. Mein alter Freund Hermann (Rieger, d.Red.) wird sich im Grab umdrehen, wenn er das alles mit ansehen muss. Felix Magath

"Immer nur Schein"

Magath hatte den Rautenclub 1983 im Finale des Europapokals der Landesmeister zum größten Erfolg der Clubgeschichte geschossen. "Danach ging es anscheinend los, dass man aufgrund der Erfolge mehr Leute bekommen hat, die froh waren, beim HSV zu sein, aber nicht für den HSV zu arbeiten." Der Europameister von 1980 hat wenig Hoffnung, dass sich die Lage in absehbarer Zeit bessert: "Wie sich der HSV seit Monaten und Jahren darstellt, kann man als Fan nur noch sagen, 'Das wird nix mehr'. Und es ist leider auch nicht abzusehen, dass sich das irgendwann nochmal ändert." In den vergangenen Jahren sei beim HSV "immer nur Schein" gewesen. "Und wir haben dieses Jahr wieder lernen dürfen, dass sich nichts geändert hat und jemand über den Umweg 'Präsident des HSV' wieder an verantwortlicher Stelle in den Verein kommt." Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann war im Februar zum Präsidenten des e.V. gewählt worden und ist mittlerweile auch Aufsichtsratsvorsitzender.

Ich weiß, welche Dinge unter mir schiefgelaufen sind und bin jetzt in der Lage, die Entscheidungen so zu treffen, dass gewisse Dinge nicht mehr passieren, sondern wir in eine etwas positivere Zukunft schauen können. Bernd Hoffmann

"HSV wird nicht mehr ernst genommen"

Der stolze HSV sei zu einer Lachnummer verkommen, monierte Magath: "Fußball-Deutschland hat seine Späße in den letzten Jahren nur noch mit und über den HSV gemacht. Aber richtig ernst genommen wurde er nie. Und wie man heute sieht, auch zu Recht." Aber kann ein Abstieg auch eine Chance sein? "Ich glaube nicht, dass der HSV einen Abstieg braucht. Denn er stand ja nun oft genug vor dem Abstieg. Wenn ich daran denke, wie man sich nach den niveaulosen Relegationsspielen gegen den KSC gefeiert hat und feiern ließ, dann kann ich nur sagen, man hat schon seit Jahren die Dinge falsch analysiert. Und wenn man nicht richtig beurteilen kann, wo man im Verhältnis zu anderen steht, dann kann man nur falsche Entscheidungen treffen", meinte der 64-Jährige.

Ohne Kühne wohl nicht mehr erstklassig

Die finanzielle Abhängigkeit von Gönner Klaus-Michael Kühne hält Magath keineswegs für optimal, aber auch für offenkundig unerlässlich: "Es ist immer schlecht für einen Verein, wenn er von einer Person abhängig ist. Ob Investor, Sponsor, Präsident, Manager oder Spieler. Wichtiger wäre, dass man einen Verein hat, der stark ist. Der weiß, was er will und der das, was er will, auch tatsächlich durchzieht." Jedoch mangele es offenbar an Alternativen: "Ich bin über die Finanzen des HSV nicht informiert. Aber man konnte in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen, dass ohne das Geld von Herrn Kühne der HSV schon gar nicht mehr in der Bundesliga spielen würde."

Hieronymus: "Es ist erschütternd"

Sein früherer Mitspieler Holger Hieronymus sieht in dem ständigen Anzapfen des milliardenschweren Logistik-Unternehmer allerdings keine Perspektive. Dem NDR sagte der HSV-Star der 1980er-Jahre: "Das ist doch keine Strategie. Eine Strategie ist für mich, wenn man aktiv an einer anderen Situation arbeitet. Aber zu sagen 'Oh, es fehlen 50 Millionen, jetzt müssen wir mal wieder in der Schweiz anrufen', das ist doch keine Strategie." Und wohl auch kein Rezept für einen möglichen Neustart in der Zweiten Liga. Hieronymus: "Wie sich der Verein als Gesamtgebilde darstellt, ist für mich ein Albtraum. Es ist erschütternd."

Herr Kühne ist unser wichtigster wirtschaftlicher Partner, aber wir müssen ihn ein Stück weit aus dem Kopf bekommen, wenn es darum geht, ein Fangnetz zu haben. Der HSV ist groß genug, stark genug, hat die wirtschaftlichen Möglichkeiten und wird sie sich in den nächsten Jahren auch wieder erarbeiten, dass wir unabhängig von externen Dritten eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine stellen können. Dazu brauchen wir Herrn Kühne nicht. Wenn wir aber eine wirtschaftliche Partnerschaft mit Herrn Kühne auf Augenhöhe zustande bringen, dann gibt es keinen ideologischen Grund zu sagen, das machen wir nicht. Bernd Hoffmann

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 15.04.2018 | 23:35 Uhr

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