Bilder-Collage einer Demonstration © NDR | [M] softulka/ annetdebar/zef art/ arturaliev /stock.adobe.com
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AUDIO: #02 Wut - Warum schwindet das Vertrauen in die Medien? (37 Min)

Podcast "Aufruhr": #2 Wut - Warum schwindet das Vertrauen in die Medien?

Stand: 12.09.2023 05:05 Uhr

Qualitätsmedien erfahren vor allem in ländlichen Regionen zunehmend einen Vertrauensverlust, sogenannte "alternative Medien" oder Facebook- und Telegramgruppen nehmen oft ihren Platz ein. Folge #2 des Podcasts "Aufruhr" widmet sich "den Medien" und der "Wut".

Auf den Demonstrationen, die die drei jungen Journalistinnen Aniko Schusterius, Margareta Kosmol und Leonie Hartge auf ihrer Recherchereise durch Vorpommern besuchen, wird die Berichterstattung über die Veranstaltungen immer wieder stark kritisiert. Sie schauen sich die Region Vorpommern exemplarisch an und untersuchen, woher die Skepsis gegenüber den sogenannten etablierten Medien und die Wut in Telegram- und Facebook-Gruppen kommt. Denn schnell entsteht bei den Macherinnen des Podcasts "Aufruhr - Über Wut, Demos und Zusammenhalt" der Eindruck, Journalismus werde nur dann akzeptiert, wenn er dem Meinungsspektrum der Demonstrierenden entspricht.

Vertrauen in sogenannte "etablierte" Medien schwindet

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Zwei Männer lesen in der Nachkriegszeit auf der Straße eine Zeitung, undatierte Aufnahme. © picture alliance / dpa Foto: dpa

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Täglich mehrere Hundert Nachrichten in Telegram-Chats wie "Wolgast steht auf", in denen zu Demonstrationen aufgerufen und Inhalte selbsternannter "alternativer" Medien geteilt werden, zeigen, dass das Vertrauen in die sogenannten "etablierten" Medien schwindet. Dieser Eindruck scheint sich im Gespräch mit Demonstrierenden zu verfestigen.

"Das sieht man ja auch auf YouTube. Was da gesperrt wird, ist die Wahrheit. (...) Das kenne ich schon zu DDR-Zeiten. Was da verboten war, das war die Wahrheit. Im Dritten Reich hat man Bücher verbrannt - das war die Wahrheit! Und jetzt wird gesperrt, ne?" Älterer Teilnehmer einer Demo in Demmin (Frühjahr 2023)

Erfahrungswerte: Freie Meinungsäußerung in der DDR - Fehlanzeige

In der DDR habe es in dieser Hinsicht keinen öffentlichen Raum gegeben, in dem man sich als Gruppe oder Teil der Bevölkerung im Fernsehen oder Zeitungen hätte äußern können, erklärt Historikerin Katja Hoyer, deren Forschungsschwerpunkt auf ostdeutscher Geschichte liegt. Diese Erfahrung der fehlenden Meinungsfreiheit und Bürgerbeteiligung hat viele Menschen in der DDR geprägt. "Und es hat eben oft dazu geführt", sagt Hoyer, dass sich Menschen "von den etablierten Medien entweder komplett abwenden" oder das Gefühl haben, es spiegele ihre Erfahrungen und Identität nicht wieder, so Hoyer.

Die Wut in Telegram-Gruppen und Facebook-Kommentarspalten

Informationen - aus Sicht der Demonstrierenden die "wirkliche Wahrheit" - beziehen viele der Menschen, mit denen Aniko, Margareta und Leonie ins Gespräch gekommen sind, aus Telegram-Gruppen, Facebook-Accounts und Youtube-Kanälen. Telegram ist für die Demonstrierenden Veranstaltungsplaner, Chatgruppe und News-App in einem - das Hauptmedium, über das sie netzwerken und kommunizieren. Täglich über hundert Nachrichten, häufig sogar mehr - pro Gruppe - sind keine Seltenheit.

"Tagesbefehl und Zielsetzung: Absetzen der Regierung. Verhindern der Schließung der Förderschule in Wolgast. Raus aus der NATO. Raus aus der WHO. Ami go home. Kampf bis zum Sieg."

"Moin Moin ihr ollen Schwurbler, ich wünsche euch einen schönen Start ins Wochenende. Auch heute möchte ich der Bundesregierung erneut meine tiefste Verachtung aussprechen!” Chatteilnehmer "Heinz" im Telegram-Chat: "Wolgast - Demos an der Waterkant"

Selbstschutz aka Recherche-Account "Sven Schmitt"

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Ein Fotoreporter trägt auf einer Demonstration einen Aufnäher mit dem Text "PRESS" auf seiner Jacke, um sich gegenüber Polizei und Demonstranten als Journalist zu kennzeichnen. © dpa Foto: Markus Scholz

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Sie legen sich einen Recherche-Account zu: Sven Schmitt. Ein mittelalter weißer Mann mit grauen Haaren, kurzem Bart und mit randloser, schmaler Brille - das Profilbild wurde mittels Künstlicher Intelligenz erstellt. Zwar liefen die meisten der Demonstrationen auf der Reise durch Vorpommern friedlich ab, auf manchen Demos wurden Margareta, Leonie und Aniko jedoch auch persönlich beschimpft und bedroht. Auch der Besuch des Recherche-Teams auf der Demo in Wolgast Mitte April bleibt nicht unkommentiert, weder in Chats noch auf der Redner-Bühne in Wolgast: "Wir haben mit diesen Damen gesprochen, während des Aufmarsches und danach. Was ich festgestellt habe, ist, dass diese Damen von allgemeiner Politik, ich sage nur mal zwei Begriffe - Klaus Schwab und Professor Suchard Bhakdi - diese Damen haben von Tuten und Blasen keine Ahnung."

Wie können Medien das Vertrauen zurückgewinnen?

"Vertrauen kann man in der Regel nur mit Transparenz zurückgewinnen, mit Offenheit und Ehrlichkeit, mit der Aufklärung und Vermittlung", sagt Bert Lingnau, Direktor der Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern. Dierk Borstel, Professor für angewandte Sozialwissenschaft mit Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Demokratie, sieht noch einen anderen Grund für den Zulauf der Telegram- und Facebook-Gruppen: den "Niedergang von regionaler Berichterstattung", vornehmlich in ländlichen Regionen, deren Themen "die Relevanz für das sogenannte 'breite Publikum' fehlt" und in denen die Zustellung von Zeitungen der großen Medienhäuser in dünn besiedelten Regionen "für Verleger zu teuer ist". In den Telegramgruppen würden "Menschen diese regionale Relevanz" und "Gleichgesinnte" wiederfinden, so Borstel.

Die Trenter Dorfzeitung: Presse von Dorfbewohnern für Dorfbewohner

Das Gegenmodell besucht das Autorinnenteam in Trent auf Rügen: die Trenter Dorfzeitung. Das Herausgeber-Team umfasst fünf Personen, die von kommunalpolitischen Themen wie der Bürgermeisterwahl über Todes- und Geburtsanzeigen alle zwei Monate auch das Leben im Dorf abbilden und so eine Chronik entstehen lassen. Gemeinsam wollten sie im Dorf das Gemeinschaftsgefühl wiederbeleben. Mitherausgeberin Sabine Will sagt, die überregionale Tageszeitung hätten die meisten Dorfbewohner abbestellt, "weil es eben zu teuer ist." Dass viele Menschen in der Umgebung ihre Nachrichten zum Großteil aus beispielsweise Telegram-Gruppen beziehen, sorgt auch Uwe Laubstein, mit 63 Jahren den Jüngsten des Herausgeberteams. "Wir steuern schon gegen, indem wir versuchen viel und breit aufgestellt zu berichten und ein Informationsangebot zu machen, um diese Leute auf einem anderen Wege zu erreichen - außerhalb dieser Gruppen."

Lokalberichterstattung: Grundvoraussetzung für demokratischen Rechtsstaat?

Kritischer Journalismus ist die Grundlage für politische Debatten, sind sich Aniko, Margareta und Leonie einig und fragen: "Wie wollen wir diskutieren, wenn wir nicht alle an die Pressefreiheit in Deutschland glauben? Wenn wir unterschiedliche, teils gegensätzliche Informationen in Diskurse einbringen, Quellen nicht auf ihre Herkunft untersuchen und das Vertrauen in die professionellen Medien einfach fehlt?" Lokale Berichterstattung sei seiner Meinung Grundvoraussetzung für einen demokratischen Rechtsstaat, sagt auch Dierk Borstel. Denn immer dann, wenn sich Säulen demokratischer Kultur aus der Fläche zurückziehen, so Borstel, würden Freiräume für diejenigen geschaffen, "die es mit der Demokratie nicht gut meinen. Und da müssen wir einfach höllisch aufpassen."

Der Podcast hat es auf die Votingliste zum Deutschen Podcastpreis 2024 für den Publikumspreis in der Kategorie "Information" geschafft. Noch bis zum 20. Mai könnt ihr hier für "Aufruhr" stimmen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 12.09.2023 | 16:10 Uhr

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