Stand: 16.01.2018 17:11 Uhr
Unwort des Jahres 2017: Entscheidung ist nachvollziehbar
Die sprachkritische Aktion "Unwort des Jahres" in Darmstadt hat ihre Wahl für das vergangene Jahr bekannt gegeben. Es ist "alternative Fakten". In die Welt gesetzt wurde das Unwort vor knapp einem Jahr von der damaligen Trump-Beraterin Kellyanne Conway. Sie begründete damit, warum sie von nie dagewesenen Besuchermassen bei der Amtseinführung von Präsident Trump sprach, obwohl der Platz erkennbar nur spärlich gefüllt war. Das seien halt "alternative Fakten".
Eine Glosse von Jürgen Deppe
"Alternative Fakten"? Das klingt nach: Man wird doch wohl noch sagen dürfen, montags beim Spaziergang oder alternativ zu diesem Land, dass ein X ein U ist. Eins plus Eins Drei. Und immer automatisch oben, wo der amerikanische Präsident steht - selbst wenn er womöglich gerade im Keller des Weißen Hauses ist. Das sind eben alternative Fakten. Und die wird man doch wohl noch .
Ja, klar, sie aussprechen zu dürfen ist Meinungsfreiheit! Und die ist allen "Gutmenschen" ("Unwort des Jahres" 2015) heilig. Wo kämen wir denn auch hin, wenn wir uns von der Wahrheit die Meinung diktieren ließen? Eine solche Bevormundung durch die Realität wäre ja nachgerade unerträglich! Sollen wir uns etwa "alternativlos" ("Unwort des Jahres" 2010) dem Diktat des Faktischen beugen? Nein, nein, nein, es gibt sie, die Alternative. Man muss nur mal aussprechen!
Von "Opferabo" bis "Lügenpresse"
2017: "Alternative Fakten". Der Begriff hat sich gegen andere Vorschläge wie "Babycaust", "Bio-Deutsche" und "Fake News" durchgesetzt. Die Jury, in der vier Sprachwissenschaftler und ein Journalist sitzen, sagt zur Begründung, die Bezeichnung sei: "... der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen."
2016: Volksverräter, der |
Volksverräter ist ein Unwort im Sinne unserer Kriterien, weil es ein typisches Erbe von Diktaturen, unter anderem der Nationalsozialisten ist. Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt. (Begründung der Jury)
2015: Gutmensch, der |
Als "Gutmenschen" wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf "Gutmensch", "Gutbürger" oder "Gutmenschentum" werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm oder weltfremdes Helfersyndrom diffamiert. (Begründung der Jury)
2014: Lügenpresse, die |
Das Wort "Lügenpresse" war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als "besorgte Bürger" skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen. (Begründung der Jury)
2013: Sozialtourismus, der |
Mit dem Ausdruck "Sozialtourismus" wurde gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht. Das Grundwort Tourismus suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit. Das Bestimmungswort Sozial reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu. (Begründung der Jury)
2012: Opfer-Abo |
Im Herbst 2012 sprach Jörg Kachelmann in mehreren Interviews (zum Beispiel im "Spiegel" vom 8.10.2012) davon, dass Frauen in unserer Gesellschaft ein Opfer-Abo hätten. Mit ihm könnten sie ihre Interessen in Form von Falschbeschuldigungen - unter anderem der Vergewaltigung - gegenüber Männern durchsetzen. Das Wort Opfer-Abo stellt in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein. (Begründung der Jury)
2011: Döner-Morde, die |
Im Jahre 2011 ist der rassistische Tenor des Ausdrucks in vollem Umfang deutlich geworden: Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden. (Begründung der Jury)
Der mächtigste Mann der Welt ein Troll?
So wie es zum Beispiel die possierlich "Trolle" genannten Alternativ-Faktler tun, die nicht im Weißen Haus, sondern im Internet zuhause sind. Die verfolgen mit ihren Falschmeldungen, die sie möglichst flächendeckend im Netz verbreiten, oft gar kein Ziel. Zumindest keins, das sich mit normalem Menschenverstand nachvollziehen ließe, Informationsverbreitung zum Beispiel oder Meinungsbildung.
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Das "Unwort des Jahres 2017" lautet "alternative Fakten". Der Begriff stehe für den Versuch, falsche Behauptungen in der öffentlichen Debatte salonfähig zu machen, so die Begründung.
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Nein, Trolle und andere Alternativ-Faktler entwickeln ein nahezu diebisches Vergnügen daran, falsche Nachrichten zu verbreiten - manchmal auch in staatlichem Auftrag. Sie zünden Nebelkerzen, stiften Verwirrung und sehen genussvoll dabei zu, wie möglichst viele Menschen ihnen auf den Leim gehen. Wohlgemerkt: Auf ihren Leim! Den einzig wahren Leim! Den Leim, der ihr krudes Weltbild zusammenhält. Hurra!
Dass sie seit einer Weile präsidiale Konkurrenz aus dem Weißen Haus bekommen, tja, sollte es die "News-Faker" wütend machen? Sollten sie es Trump neiden, dass er viel mehr Beachtung erfährt, wenn er genau wie sie Tag für Tag neue Absurditäten in die Welt zwitschert? Oder sollten sich die News-Faker glücklich schätzen? Endlich ist der mächtigste Mann der Welt einer von ihnen! Endlich ist nobilitiert, wenn man einfach mal so raushaut, was einem gerade durch den Kopf geht - oder den Bauch oder sonst was.
Man wird doch wohl noch sagen dürfen!
Okay, also tue ich's! Wenn ich also als Fakt nehme, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, der vermutlich größte, cleverste, smarteste, genialste aller Zeiten - wenn ich das als Fakt nehme, dann ertappe ich mich dabei, dass ich dem Begriff "alternative Fakten" sehr viel abgewinnen kann.
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Fünf Mitglieder einer Jury wählen jedes Jahr das Unwort des Jahres: vier Sprachwissenschaftler und ein Journalist. Anfang Januar verkündet Linguistin Nina Janich der TU-Darmstadt das "Unwort".
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16.01.2018 05:00 Uhr
N-JOY
"Volksverräter", "Gutmensch" - und jetzt: "alternative Fakten". Seit 1991 kürt eine unabhängige Jury das Unwort des Jahres. Hier findet ihr alle Unwörter des Jahres.
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Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur |
Klassisch unterwegs |
16.01.2018 | 16:20 Uhr