Stand: 12.06.2020 13:27 Uhr

Das rituelle Gebet im Alltag der Muslime

von Hasanat Ahmad

Das rituelle Gebet ist eine der fünf Säulen des Islam. Fünfmal am Tag sollen sich gläubige Musliminnen und Muslime Richtung Mekka wenden und beten. Gebetspausen sind in unserer Gesellschaft in vielen Bereichen, zum Beispiel auf der Arbeit oder in der Schule, allerdings nicht vorgesehen.

Als Student an der Uni war es für mich nicht immer einfach, einen geeigneten Rückzugsort für mein Gebet zu finden. Die konfessionsübergreifenden Andachtsräume lagen schließlich nicht immer in der Nähe der nächsten Veranstaltung. Da musste ich mich bisweilen mit einer entlegenen Sitzbank irgendwo auf dem Campus behelfen, um meiner religiösen Pflicht nachzukommen. Schließlich stellt das rituelle Gebet ein zentrales Gebot für einen gläubigen Muslim dar. Es zu befolgen ist ein wesentlicher und sinnstiftender Bestandteil seines alltäglichen Lebens.

Hasanat Ahmad © Hasanat Ahmad
Hasanat Ahmad ist Stellvertretender Bundesvorsitzender der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat religionsübergreifend, in allen Kulturen und Gesellschaften, immer eine zentrale Rolle gespielt. Philosophen und Religionsstifter gleichermaßen haben dieser Frage entscheidende Aufmerksamkeit gewidmet. Der Koran, die Heilige Schrift der Muslime, findet eine einfache und klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins. Denn dort erklärt Allah: "Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur darum erschaffen, dass sie mir dienen." (51:57)

Die wichtigste Säule des Islam

Das für einen erwachsenen gläubigen Muslim verpflichtende rituelle, liturgische Gebet, "ṣalāt" genannt, ist die wichtigste Säule des Islam. Es bildet die Essenz des Gottesdienstes und wird fünf Mal am Tag zu bestimmten Zeiten in Richtung der Kaaba in Mekka, der sogenannten "Qibla" (also: Gebetsrichtung), zusammen mit anderen Gläubigen verrichtet. Je nach Stand der Sonne ergeben sich für die fünf Gebete verschiedene Zeitfenster, die je nach Gebet über mehrere Minuten oder Stunden gehen können. Für das rituelle Gebet treffen sich die Muslime bevorzugt in der Moschee. Je nach Möglichkeit kann das Gebet aber auch überall verrichtet werden - und auch allein.

Ein Mann betet © picture alliance/ZUMA Press
Für das rituelle Gebet treffen sich die Muslime bevorzugt in der Moschee, aber man kann das Gebet auch allein verrichten.

Die Mittagspause auf der Arbeit dient gläubigen Muslimen nicht nur als Verschnauf- und Essenspause. Entsprechend der Umstände ziehen sie sich für ein paar Minuten zurück, um ihr Mittagsgebet zu sprechen. Ein geschlossener Raum ist dabei aus religiöser Sicht zwar nicht zwingend erforderlich, ist oft aber die angenehmere Wahl sowohl für den Betenden als auch für andere Mitarbeiter. Konfessionsübergreifende Andachtsräume wie an Universitäten oder Flughäfen könnten auch in Unternehmen zunehmend eine Lösung sein. Selbst die Einhaltung der Gebetsrichtung ist kein bedingungsloses Gesetz. Wenn die Umstände es nicht zulassen, denn schließlich ist nicht jede Sitzbank zwingend nach Mekka ausgerichtet, so zählt die Absicht. Gemäß einem Koranvers gehören Osten wie Westen zu Gott, oder wie Goethe es in seinem West-östlichen Divan formuliert: "Gottes ist der Orient! / Gottes ist der Okzident! / Nord- und südliches Gelände / Ruht im Frieden seiner Hände."

Obwohl teilweise vorgeschriebene Rezitationen und Gesten im rituellen Gebet vorhanden sind, weist der Koran auf die tatsächliche Essenz des Gottesdienstes hin, nämlich dem Streben nach Liebe und Wohlgefallen Gottes, statt sich mit bloßen formalen Riten zu begnügen.

Freiwillige und persönliche Gebete

Ein besonderer spiritueller Wert wird den freiwilligen Gebeten beigemessen, die beispielsweise nachts dargebracht werden können und in denen der gläubige Muslim in Abgeschiedenheit die Möglichkeit der Meditation und Andacht findet. Das nächtliche freiwillige Gebet verspricht dem Betenden eine besondere Nähe zu seinem Schöpfer. So heißt es im Koran: "Und wache auf dazu in der Nacht - ein weiteres für dich. Mag sein, dass dich dein Herr zu einem löblichen Rang erhebt." (17:80)

Der Islam kennt aber nicht nur das liturgische Gebet, sondern bietet auch die Möglichkeit von stillen, persönlichen Bittgebeten, die man zu jeder Zeit und in jeder Lebenslage darbringen kann, um beispielsweise beim Essen Dankbarkeit auszudrücken, vor einer Prüfung Gottes Hilfe zu ersuchen oder für die Gesundheit und das Wohlbefinden seiner Mitmenschen zu beten.

Rücksicht und Verständnis für das scheinbar Befremdliche

Die Einhaltung der fünf täglichen Gebete gehört für viele Muslime zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebens, trotz der Herausforderungen des beruflichen oder schulischen Alltags. Gegenseitiges Verständnis für das scheinbar Befremdliche und ein rücksichtsvoller Umgang von allen Seiten ermöglichen es uns aber, so bin ich überzeugt, alle Herausforderungen unserer Gesellschaft zu meistern. Nichts anderes lehrt nämlich auch das islamische Gebet: die Achtung der Pflichten gegenüber dem Schöpfer und der Schöpfung.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 12.06.2020 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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