Netzentgelte - der treibende Faktor beim Strompreis in SH

Stand: 09.02.2024 15:10 Uhr

Wer im Gebiet der SH Netz AG wohnt, zahlt mit Abstand die höchsten Netzentgelte in Deutschland. Sie sind 2024 weiter gestiegen. Doch Besserung ist in Sicht.

von Peer-Axel Kroeske

Der Strom ist derselbe, doch der Preis ein anderer: Wenn Musiklehrer Hartmut Hoeck in seinen Räumlichkeiten in Handewitt (Kreis Schleswig-Flensburg) die Tasten seines Keyboards drückt, dann zahlt er deutlich höhere Netzentgelte als an seinem Standort in Flensburg. Diese machen im Gebiet der Schleswig-Holstein Netz AG seit Jahresbeginn rund 16 Cent brutto pro Kilowattstunde aus - ein bundesweiter Rekordwert. Damit entfällt inzwischen fast die Hälfte der Stromrechnung auf die Aufgabe, den Strom vom Erzeuger zur Steckdose zu bringen. In einem Durchschnittshaushalt stiegen damit die jährlichen Netzkosten innerhalb eines Jahrzehnts von etwa 200 auf 600 Euro. Die Industrie zahlt pro Kilowattstunde deutlich geringere Netzentgelte. Hier geht es aber insgesamt um höhere Summen.

Günstiger Wind- und Sonnenstrom, teure Verkabelung

Um die Netzkosten kommt kein Stromvertragsanbieter herum. Sie sind ein fester Bestandteil des Preises. Maßgeblich ist, in welchem Netzgebiet der Kunde wohnt. Die Schleswig-Holstein Netz AG ist für fast alle Haushalte zuständig, die sich im ländlichen Bereich befinden. Gleichzeitig fallen hier besonders hohe Kosten an, um Wind- und Solarparks anzuschließen.

Der Norden bezahlt, der Süden profitiert

Vom Anschluss der Erneuerbaren Energien profitiert letztlich ganz Deutschland: Die Erzeugungskosten von Wind- und Sonnenenergie sind gering. Importe von Gas und Steinkohle zur Stromerzeugung fallen mit jeder Kilowattstunde weg, die Erneuerbare erzeugen. Mittelfristig sind auch keine Erdgas- und Ölimporte für Heizung und Verkehr mehr nötig, wenn die Umstellung auf Fernwärme, Wärmepumpen und E-Autos vollzogen ist. Doch die Investitionskosten für diese fundamentale Umstellung tragen bisher die Gebiete, in denen Wind- und Solaranlagen entstehen. Die Früchte ernten alle Gebiete gleichermaßen, da in Deutschland ein einheitlicher Großhandelspreis für den Strom gilt.

Auch abgeschaltete Windanlagen lassen das Netzentgelt steigen

Nettonetzentgelte für Haushaltskunden. Zwei Deutschlandkarten zeigen farblich die Netzentgelte 2015 und 2023. Zu erkennen ist ein deutlicher Anstieg im Norden und Osten außerhalb der Stadtwerke-Inseln. © Bundesnetzagentur
Besonders betroffen vom Anstieg der Netzentgelte sind Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Im Vorteil sind die Stadtwerke-Inseln, wo kaum Windräder stehen.

Nach wie vor besteht zudem das Problem, dass Stromnetze erst geplant werden dürfen, wenn Wind- oder Solarparks genehmigt sind. Diese sind meist schneller gebaut als die großen Überlandleitungen, die den Strom abtransportieren sollen. Windräder müssen dann still stehen. Bundesweit betraf das 2022 nach der aktuellsten Statistik der Bundesnetzagentur nur 1,3 Prozent der Windenergie. Wenn der Erneuerbaren-Ausbau jetzt wieder in Fahrt kommt, könnten aber neue Engpässe entstehen. Windparkbetreiber müssen dafür entschädigt werden. Hinzu kommen die deutlich höheren Kosten für Kraftwerke, die die Abschaltung ausgleichen sollen. Dabei wird unterschieden: Wenn die überregionale "Stromautobahn" die Energie nicht nach Süden leiten kann, werden die Ausfallkosten bundesweit umgelegt. Wenn aber der regionale Netzbetreiber die Abschaltung verursacht, zahlen dafür nur die Stromkunden vor Ort.

Strompreis könnte 2024 weiter steigen

Mit dem Gerichtsurteil zur Schuldenbremse kam für die Stromkunden eine weitere Hiobsbotschaft hinzu: 5,5 Milliarden Euro, die bundesweit zur Reduzierung der Netzentgelte vorgesehen waren, stehen plötzlich nicht mehr zur Verfügung. Damit steigen die Kosten in den überregionalen Netzen um weitere drei Cent. In den Netzentgelten für 2024 ist dies bereits eingepreist. Bisher haben nur wenige Stromanbieter den Anstieg an die Kunden weitergegeben. Das könnte im Laufe des Jahres noch passieren, schätzt der Sprecher der Bundesnetzagentur Fiete Wulff.

Angleichung in Sicht

Die Bundesnetzagentur hat nun angekündigt, das Problem ab Januar 2025 zu entschärfen. Bundesweit einheitliche Netzentgelte soll es zwar nicht geben, dafür aber eine Umlage für die Netzbetreiber, die die Schieflage weitgehend ausgleicht. Sprecher Wulff sagte, die Bundesbehörde könne dies festlegen. In einem Eckpunktepapier hatte die Bundesnetzagentur bereits einen Rückgang um mehr als fünf Cent pro kWh im Gebiet der SH Netz AG skizziert. Da auch die Marktpreise für Strom nach den Turbulenzen infolge des Ukraine-Kriegs wieder sinken, werden die meisten Schleswig-Holsteiner also voraussichtlich im kommenden Jahr entlastet, falls nicht andere Faktoren den Preis wieder nach oben treiben.

Hartmut Hoeck würde dann an beiden Musikschulstandorten etwa den gleichen Preis für das Netztentgelt zahlen.

Warum steigt der Strompreis?

Laut Vergleichsportal Verivox haben mehr als 100 Energieversorger ankündigt die Preise anzuheben - um im Schnitt zehn Prozent. Die Anbieter begründen dies mit teureren Stromnetzgebühren, auch der höhere CO2-Preis macht sich bemerkbar. So beträgt der CO2-Preis seit Anfang des Jahres nicht mehr 30 Euro pro Tonne, sondern 45 Euro. Da noch immer viel Strom in Deutschland durch das Verbrennen von Kohle oder Gas erzeugt wird, hat das Auswirkungen. Die sind allerdings eher gering: etwa 0,3 Cent pro Kilowattstunde macht das aus, sagt die Bundesnetzagentur. 

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 09.02.2024 | 08:00 Uhr

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