Wird der Fall Rokai zur Gefahr für Schwesigs Landesregierung?

Stand: 27.05.2023 07:38 Uhr

Die Rokai GmbH bekam den größten Auftrag der Klimaschutzstiftung MV. Einziger Zweck der Firma: die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2. Die Grünen im Landtag forderten vor zwei Tagen den Rücktritt von Innenminister Pegel wegen angeblich zurückgehaltener Informationen zu Rokai. Wer aber gab eigentlich den Anstoß zur Gründung des Unternehmens?

von Frank Breuner und Anna-Lou Beckmann, Redaktion Politik und Recherche

Ohne sie wäre Nord Stream 2 nie zu Ende gebaut worden, sagt die Landtagsopposition: Die Rokai GmbH sorgte dafür, dass im Rostocker Hafen, am Mageb-Kai und dem angrenzenden Hinterland, eine Logistik-Basis für russische Schiffe und zur Lagerung von Material für den Bau der Pipeline entstand, allen US- Sanktionen zum Trotz. Den Auftrag zum Aufbau der Logistik-Basis am Kai hatte die Klimaschutzstiftung MV erteilt, Auftragsvolumen: 36 Millionen Euro.

Warum ist der Fall Rokai für Schwesig und Co. gefährlich?

Die Landesregierung hat immer betont, dass sie sich nie in die Geschäfte der Klimaschutzstiftung eingemischt habe. Dahinter verbirgt sich die Angst, sonst als verlängerter Arm der Nord Stream 2 AG beziehungsweise des russischen Konzerns Gazprom dazustehen. Die Grünen und die CDU im Landtag werfen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) schon lange vor, sehr wohl von geschäftlichen Details gewusst zu haben, bisher fehlen dafür aber handfeste Beweise.

Wie kam Rokai an den Millionen-Deal?

Dass die Rokai den mit Abstand größten Auftrag der umstrittenen Klimaschutzstiftung erhielt, macht den Fall für die Opposition besonders interessant. Wie konnte sich ein Unternehmen, das scheinbar aus dem Nichts kam, überhaupt solch einen Auftrag sichern? Rokai wurde im Herbst 2020 gegründet, gut zwei Monate bevor die Stiftung ins Leben gerufen wurde. Im November 2020 beginnt das Unternehmen dann schon Verhandlungen mit der Stadt Rostock über die Anmietung des Mageb-Kais, Kosten fast zwei Millionen Euro. Im selben Monat berichtete erstmals der NDR über die Idee der Landesregierung, eine Stiftung zu gründen, um Firmen, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind, gegen US-Sanktionen zu schützen.

Alles nur Zufall bei der Rokai-Gründung?

Und die zeitlichen Parallelen gehen weiter. Am 7. Januar 2021 beschließt der Landtag die Gründung der Klimaschutzstiftung, nur elf Tage später wird der Gesellschaftsvertrag der Rokai beschlossen. In dem legen die Beteiligten die Aufgaben des Unternehmens fest. Mitte März erfolgt die Eintragung ins Handelsregister mit dem Stammkapital von 25.000 Euro, im Mai wird dann schließlich der Vertrag zwischen Stiftung und dem Unternehmen unterschrieben. Rokai und Klimastiftung sind also im gleichen Zeitraum entstanden. Die beiden Geschäftsführer der GmbH hießen Peter Cipra und Christian Cammin. Hatten sie einfach zur richtigen Zeit ein gutes Näschen für ein lukratives Geschäft? Auf unsere Anfragen antworten sie nicht, beide gelten als erfahrene Unternehmer in der maritimen Branche, ebenso als politisch gut vernetzt.

Wer steckt hinter der Rokai-Gründung?

Womöglich bekamen Cipra und Cammin im Herbst 2020 einen Tipp von der Nord Stream 2 AG zur Gründung von Rokai. Immerhin war Peter Cipra vorher Geschäftsführer der Krebs Offshore Shipping, die unter anderem die russischen Verlegeschiffe beim Bau der Gaspipeline versorgte. Die Hamburger Krebs Gruppe zog sich aber aus dem Geschäft zurück, als die amerikanischen Sanktionen in Gang gesetzt wurden.

Tipps aus der Landespolitik?

Eine weitere Möglichkeit: Ein Hinweis aus der Landespolitik ermutigte Cipra und seinen neuen Geschäftspartner, das Risiko einer Firmenneugründung zu wagen – um dann gleich für einen Millionenbetrag eine Kaianlage anzumieten. Wie schafft man das ohne exzellente Kontakte? Wir fragen bei den anderen Beteiligten nach, ob sie die Rokai-Geschäftsführer bereits vor Dezember 2020 kannten. Alle verneinen das oder können sich nicht daran erinnern: weder der ehemalige Rostocker Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen (CDU), noch der für den Deal zuständige Finanzsenator Chris von Wrycz Rekowski (SPD) wollen mit Cipra und Cammin etwas zu tun gehabt haben, genauso wie der Vorstandsvorsitzende der Klimaschutzstiftung, Erwin Sellering (SPD), oder Heiko Geue (SPD), heute Landesfinanzminister, 2020 noch Chef der Staatskanzlei.

Und was wusste Christian Pegel?

Der "Erfinder" der Klimaschutzstiftung MV, der damalige Energieminister Christian Pegel (SPD), muss sich jetzt wegen der Vorgänge um Rokai Rücktrittsforderungen der Opposition gefallen lassen. Er habe dem Landtag im vergangenen Jahr nicht wahrheitsgemäß beantwortet, welche Kenntnisse ihm zur Firma Rokai vorlagen, so die Grünen. Bereits im März 2021 hatte der NDR bei Pegel angefragt, ob er früher Gespräche mit Geschäftsführer Cipra geführt habe. Die Antwort lautete schlicht: "Nein".

Rudert Pegel zurück?

Zwei Jahre später fragen wir bei Pegel, jetzt Innenminister, erneut an: Hatte er bereits vor Dezember 2020 mit Peter Cipra und/oder Christian Cammin Kontakt? Die Antwort der Pressesprecherin klingt diesmal deutlich vorsichtiger. Im Kalender des Ministers seien keine Termine vermerkt. "Ob und gegebenenfalls wann sowie wo bei den vielfältig durch den früheren Energieminister besuchten Veranstaltungsformaten und Besuchsterminen auch Kontakte mit den beiden Herren bestanden, lässt sich dem Kalender allerdings nicht entnehmen", heißt es weiter. 

Ohne Kontakte zum großen Geschäft?

Der Minister erinnere keine Kontakte mit den beiden Geschäftsführern, so die Pressesprecherin. Mitglieder der Landesregierung, der Vorstandschef der Klimaschutzstiftung und die Rostocker Verwaltungsspitze – sie alle wollen keine Gründungsdetails der Rokai GmbH kennen. So zeichnet sich die Geschichte eines kleinen Start-Up-Unternehmens mit wenig Startkapital, das sich in wenigen Wochen einen Millionenauftrag sichern konnte, ohne dass die beiden Gründer jemandem bekannt gewesen sein sollen. Auch dieser Aspekt der Geschichte dürfte im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Klimaschutzstiftung noch eine wichtige Rolle spielen.

Überblick: Der Weg zum Vertrag zwischen ROKAI und der Klimastiftung MV

November 2020:

  • ROKAI nimmt Kontakt zur Stadt Rostock auf
  • Idee einer Klimastiftung MV wird öffentlich

Dezember 2020:

  • ROKAI schickt Konzept an Stadt Rostock
  • Energieministerium arbeitet an Klimastiftung MV und erhält auch das ROKAI-Konzept

Januar 2021:

  • ROKAI-Beteiligte beschließen Gesellschaftsvertrag
  • Landtag beschließt Klimastiftung MV

Februar 2021:

  • Bürgerschaft Rostock beschließt Pachtvertrag mit ROKAI

März 2021:

  • Eintragung ROKAI ins Handelsregister

Mai 2021:

  • Vertrag zwischen ROKAI und Klimastiftung MV

 

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 27.05.2023 | 19:30 Uhr

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