Nahm die Landesregierung Einfluss bei Nord-Stream-2-Geschäften?

Stand: 17.05.2023 05:00 Uhr

Ohne die Klimastiftung MV wäre die Gaspipeline Nord Stream 2 wegen der Sanktionen der USA wohl nie fertig gebaut worden. Immer wieder betonte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) im Landtag und in Interviews, dass sich die Landesregierung nie in die Geschäfte der Stiftung eingemischt habe. Das Schreiben des Geschäftsführers einer Firma lässt Zweifel daran aufkommen.

von Frank Breuner, Anna-Lou Beckmann - Redaktion Politik und Recherche

Die E-Mail der Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern an den NDR spricht eine überdeutliche Sprache: "Die Skandalisierung, auf die Ihre Fragen abzielen, geht ins Leere. Einer von Ihnen verschwörerisch angenommenen und unterstellten Einflussnahme von Seiten des Landtages oder der Regierung bedurfte es keineswegs." So die Reaktion auf unsere Fragen zum Rückbau einer Kaianlage in Rostock, den Beschwerdebrief eines Unternehmers und die Rolle der Ministerpräsidentin dabei.

Standort des MAGEB-Kai Süd im Rostocker Hafen (Screenshot) © NDR Foto: NDR
Auf dem MAGEB-Kai Süd im Rostocker Hafen wurde von der Rokai GmbH Schüttgut gelagert und auf Schiffe verladen, das für den Bau von Nord Stream 2 benötigt wurde.

Aber die Klimastiftung legt in ihrer Antwort noch einmal nach: "Wir verzichten derzeit noch auf ein medienrechtliches Vorgehen, werden aber Ihre Äußerungen in dieser Angelegenheit sorgfältig beobachten." Für die Grünen im Landtag ist der Fall der Rokai GmbH der Beweis dafür, dass sich Schwesig doch nicht aus den Geschäften der Klimastiftung beim Bau von Nord Stream 2 herausgehalten habe. Und damit hätte sie eben nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche Mitverantwortung für das Handeln der Stiftung.

Ein lukrativer Auftrag

Eine Kaianlage der Rostocker städtischen Häfen erwachte im Jahr 2021 aus dem Dornröschenschlaf. Der "MAGEB-Kai Süd" wurde aufwendig und für viel Geld umgebaut, um eine wichtige Aufgabe übernehmen zu können: Hier wurde von der Rokai GmbH Schüttgut gelagert und auf Schiffe verladen, das für den Bau von Nord Stream 2 benötigt wurde. Der Gesellschaftsvertrag der Firma wurde erst Anfang 2021 unterzeichnet, übrigens nur zehn Tage nachdem die Klimastiftung ins Leben gerufen wird - und das ausschließlich mit dem Ziel, die Fertigstellung der Gaspipeline möglich zu machen.

Die beiden Geschäftsführer von Rokai, Peter Cipra und Christian Cammin, haben jahrelange Erfahrung in der maritimen Branche und gelten auch als politisch gut vernetzt. Die Rokai GmbH erhielt den Auftrag zur Anmietung eines Kais und der Lagerung von Schüttgut von der Klimastiftung MV. Die war von der Landesregierung gegründet worden, um die Sanktionen der USA gegen den Bau der Pipeline zu umgehen, indem die beteiligten Firmen ihre Aufträge von der Stiftung bekamen und nicht direkt von der Nord Stream 2 AG.

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Im Hafen von Mukran auf Rügen lagern noch Rohre für die Ostseepipeline Nord Stream 2. © dpa-Bildfunk Foto: Stefan Sauer/

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Hohe Kosten für den Kai-Rückbau 

So auch im Fall Rokai. Im Frühjahr 2021 pachtete die Firma die Kaianlage für zwei Millionen Euro von der Stadt Rostock. Laut Eintrag im Handelsregister zur "Erbringung von maritimen Dienstleistungen für Schiffe und Häfen". Von Nord Stream 2 war damals keine Rede. Im September 2021 war die Pipeline fertig, Rokai hatte seinen Auftrag erfüllt. Jetzt ging es um den Rückbau des Kais: Neu errichtete Mauern und andere Anlagen mussten wieder weg. Die Stadt Rostock hatte sich den Rückbau vertraglich zusichern lassen, die Kosten dafür schätzte Rokai-Geschäftsführer Cipra auf vier bis sieben Millionen Euro. Und die wollte er an die Klimastiftung MV weitergeben. In einem Schreiben an den SPD-Landtagsabgeordneten Tilo Gundlack schreibt Cipra am 28. Oktober 2021, die Stiftung habe sich als Auftraggeber vertraglich verpflichtet, diese Kosten zu übernehmen.  

Beschwerdebrief an SPD-Abgeordneten

Doch Cipra zweifelte offenbar daran, dass dies auch passieren würde. In der E-Mail an den SPD-Politiker schreibt er: "Leider wurde uns signalisiert, dass die Stiftung (…) für den Rückbau nicht aufkommen wird und wir als mittelständisches Unternehmen auf den Kosten sitzen bleiben." Dann aber werde Rokai in die Insolvenz rutschen und die Stadt Rostock auf einem Millionenschaden sitzen bleiben. Weiter schreibt Cipra: "Für uns um so unverständlicher, da die Stiftung (…) ja genau zu diesem Zweck gegründet wurde, um Unternehmen die zu Sanktionszeiten Nordstream 2 den Rücken stärken, vor Schaden zu bewahren." 

Treffen mit Ministerpräsidentin Schwesig

Man fühle sich derzeit im Stich gelassen, so Cipra. Dann erinnert er in der Mail auch an ein Gespräch mit der Ministerpräsidentin: "Frau Manuela Schwesig hatte auf unserem letzten Treffen auf dem Wirtschaftsempfang im Rostocker Lokschuppen explizit danach gefragt, ob Nord Stream 2 auch allen Zahlungen nachkommt, was bis dato auch so war." Gemeint ist ein Wirtschaftsempfang der SPD am 4. August 2021. Und wenn man den Aussagen Cipras folgt, war dies nicht das erste Treffen mit Ministerpräsidentin Schwesig. Er appellierte an den Landtagsabgeordneten Gundlack: "Wir benötigen hier dringend politische Unterstützung in dieser Sache." Sowohl Schwesig als auch der Stiftungschef, Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering, wüssten wohl nichts von den Details um den Kai-Rückbau, vermutete Cipra.

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Mail geht an die Staatskanzlei

Welche Folgen hatte das Schreiben? Gundlack habe nach Eingang der E-Mail mit dem Rokai-Geschäftsführer dazu telefoniert, antwortet er dem NDR schriftlich. Bis dahin sei ihm die Firma nicht bekannt gewesen. "Ich habe das Schreiben nicht bewertet, sondern weitergeleitet. Da namentlich Personen von Herrn Cipra benannt wurden, habe ich diese Mail auch dorthin weitergeleitet, an die Stk (Staatskanzlei, Anm. d. Redaktion)." Ein Interview dazu will uns der SPD-Abgeordnete nicht geben, da er auch Mitglied im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Klimastiftung MV ist. Weitere Gespräche mit Cipra habe es nicht gegeben. Auch Cipra hat trotz mehrerer Kontaktversuche auf unsere Anfragen nicht reagiert. Die Stadt Rostock bestätigt dem NDR über ihren Pressesprecher, dass der Rückbau der Kaianlage inzwischen ordnungsgemäß durchgeführt wurde und dass es vorbereitend dazu Gespräche sowohl mit Rokai als auch dem Wirtschaftsbetrieb der Klimastiftung gab.

Hat Schwesig eingegriffen?

Die Landesregierung betont immer wieder, dass man sich nie in die operative Tätigkeit des Geschäftsbetriebes der Klimastiftung MV eingemischt habe. Zu einem Interview zum Thema Rokai ist Manuela Schwesig nicht bereit. Regierungssprecher Andreas Timm antwortet uns stattdessen schriftlich: "Die Ministerpräsidentin hat diese Mail nicht erhalten." Das Schreiben sei ohne Kommentar an den damaligen Leiter der Staatskanzlei weitergeleitet worden, also an Heiko Geue, der heute Finanzminister im Kabinett von Schwesig ist. "Herr Dr. Geue hat keine Erinnerung daran, auf die Kenntnisnahme-Mail hin tätig geworden zu sein."

Und was ist mit dem Gespräch des Rokai-Geschäftsführers mit Schwesig im August 2021? Immerhin soll sie sich dort laut Cipras Schreiben nach der Zahlungsmoral von Nord Stream 2 erkundigt haben. Der Regierungssprecher dazu: "Solche kurzen Gespräche am Rande von Terminen lassen sich nach fast zwei Jahren nicht mehr im Einzelnen rekonstruieren." Für die Grünen geht aus Unterlagen der Staatskanzlei hervor, dass die Mail aber zumindest im Vorzimmer der Ministerpräsidentin gelandet ist. Und der Abgeordnete Hannes Damm geht davon aus, dass der Untersuchungsausschuss des Landtags nicht alle Gesprächsprotokolle oder Vermerke dazu bekommen habe. "Ich bin mir sicher, dass wir nicht alles bekommen haben", so Damm.

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Klimastiftung reagiert empört

Wir wollen auch von der Klimastiftung MV wissen, wie sie den Fall sieht. Auch hier gibt es kein Interview, dafür eine schriftliche Antwort von der Geschäftsführerin auf unsere Fragen - im Namen von Stiftungschef Sellering und dem ehemaligen Geschäftsführer des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, Steffen Petersen. Es sei unwahr, wenn behauptet würde, dass die Stiftung die Übernahme der Kosten abgelehnt habe. Sellering und Petersen führen weiter aus: "Da dies die Unwahrheit ist, untersagen wir Ihnen hiermit ausdrücklich, zu behaupten (…) dass die Stiftung die Kosten für die Wiederherstellung der gemieteten Flächen ursprünglich nicht übernehmen wollte." Untersagen will der Ex-Ministerpräsident dem NDR auch jegliche Behauptung, dass die Stiftung erst durch eine Intervention des "Abgeordneten Gundlack und/oder der Ministerpräsidentin bzw. der Staatskanzlei" zur Kostenübernahme habe gebracht werden müssen. 

Opposition will den Fall untersuchen

Für die Grünen im Landtag ist der Fall Rokai damit aber längst noch nicht abgeschlossen, sie wollen die Vorgänge im Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung auf die Tagesordnung setzen - vor allem auch die Rolle der Ministerpräsidentin: "Das wirft jetzt noch einmal die Frage auf, inwieweit Frau Schwesig persönliche Verantwortung übernehmen muss", so Hannes Damm auf Anfrage des NDR. "Sie muss sich dazu erklären." Denn das gehe über die reine politische Dimension hinaus, jetzt werde sie auch als Zeugin im Bereich des operativen Geschäfts der Stiftung viel interessanter, so Damm.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 16.05.2023 | 19:30 Uhr

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