Ermittlungen gegen Bundespolizisten nach Gewalt gegen Fußballfan

Stand: 17.10.2022 20:03 Uhr

Nach dem Hamburger Fußballderby am Freitag ist gegen einen Bundespolizisten eine Anzeige bei der Polizei eingegangen und ein Strafverfahren eingeleitet worden. Das Dezernat Interne Ermittlungen führe die derzeitigen Ermittlungen.

Im Internet kursiert seit dem Fußballspiel ein Video, das den Bundespolizisten bei der Ausübung von Gewalt gegenüber einem am Boden liegenden Mann zeigt. In dem Video schlägt der Bundespolizist dem Mann mehrfach mit der Faust in den Nierenbereich sowie mit dem Ellbogen ins Gesicht. Dieser Polizeieinsatz sorgt für heftige Diskussionen. Die Polizei nahm insgesamt 47 Personen in Gewahrsam.

Stellungnahme des Innensenators gefordert

Der Fanclubsprecherrat des FC St. Pauli verurteilte den Einsatz und verlangte eine Stellungnahme der Polizeiführung und des Hamburger Innensenators. Und fügt hinzu: Dass Unbeteiligte vor dem Fanladen und vor der Geschäftsstelle verletzt wurden, sei in keiner Weise zu akzeptieren. Polizeiwissenschaftler Rafael Behr, der an der Polizeiakademie in Hamburg unterrichtet, hält den Einsatz gegen den Mann für überzogen, auch wenn nicht ersichtlich sei, was vorher passierte. Im vorliegenden Fall hätte ein milderes Mittel jedoch genügt.

Gewaltsame Szenen vor dem Spiel

Es begann mit einem Marsch von etwa 3.500 HSV-Fans durch St. Pauli am Freitagnachmittag. Anschließend kam es vor dem Millerntorstadion zu Auseinandersetzungen zwischen Ultra-Fans des FC St. Pauli und der Polizei. Die Polizei hatte versucht, die beiden Fanlager voneinander fernzuhalten und so Ausschreitungen zu verhindern. 1.445 Beamtinnen und Beamte waren nach Angaben der Polizei im Einsatz. Da es sich um ein Risiko-Spiel handelte, waren die Sicherheitsvorkehrungen in Hamburg verstärkt worden.

Vereinzelter Einsatz von Pyrotechnik

Beim Marsch der HSV-Fans vom Altonaer Balkon über die Reeperbahn bis zum Stadion wurde laut Polizei vereinzelt Pyrotechnik abgebrannt. Davon abgesehen verlief der Marsch friedlich. Am Millerntorstadion kam es dann fast zu einem Zusammenstoß zwischen HSV- und St.-Pauli-Anhängern: Etwa 150 bis 200 schwarz gekleidete und mit rotem Schal maskierte St.-Pauli-Fans waren auf die HSV-Fans zugestürmt. Die Polizei konnte dies allerdings unterbinden. Die Anhänger werden der Gruppierung "Rotsport St. Pauli" zugeordnet.

FC St. Pauli kritisiert Polizei

Anschließend sei nach Angaben des NDR 90,3 Polizeireporters die Polizei mehrfach in die Menge hineingelaufen, um einzelne der maskierten St.-Pauli-Anhänger zu greifen. Dabei gingen mehrere Menschen zu Boden, einige wurden festgehalten. Auf einem Internet-Video ist zu sehen, wie ein am Boden liegender St.-Pauli-Fan von einem Polizisten geschlagen wird. Der FC St. Pauli twitterte, dass bei einem massiven Polizeieinsatz mehrere Personen verletzt wurden.

Fangruppen werfen Behörden Polizeigewalt vor

Erste Festnahmen vor dem Stadtderby © NDR.de
Einige Fans werden am Freitag von der Polizei festgenommen.

Angesichts vorliegender Videos und Augenzeugenberichten stelle sich die dringende Frage nach der Verhältnismäßigkeit, so der Verein. Der FC St. Pauli fordere Aufklärung von der Polizei, so Vereinssprecher Patrick Gensing. Inzwischen wird die Kritik am Polizeieinsatz lauter. Der Fanblog "Magischer FC" spricht von Polizeigewalt. Als Fußballfan in Deutschland müsse man jederzeit damit rechnen, dass die körperliche Gesundheit vorsätzlich gefährdet werde – und zwar von denen, die sie eigentlich schützen sollen. Der Fanblog "MillernTon" schreibt von einer Eskalation durch die Polizei: Deren Einheiten seien aggressiv in eine Menschenmenge vor dem Stadion gelaufen.

Anzeige erstattet

Gegen den Polizisten in dem zigfach angesehenen Video ist nach Informationen des NDR Hamburg Journals mittlerweile Anzeige erstattet und ein Strafverfahren eröffnet worden - nach Schlägen gegen einen Anhänger. Zudem prüfe die Polizei die Recht- und Verhältnismäßigkeit des Handelns ihres Kollegen. Schon am Freitag reagierte die Polizei Hamburg bei Twitter und schrieb: "Teile dieser Gruppe wurden dabei in Gewahrsam genommen. Ein im Internet kursierendes Video zeigt eine solche Ingewahrsamnahme, bei der ein Polizist Zwang in Form von körperlicher Gewalt anwendet." Die Hintergründe seien noch nicht klar.

Sturz eines 60-Jährigen während des Polizeieinsatzes

Zusätzlich überprüft die Polizei einen weiteren Fall. Demnach stürzte ein 60-jähriger Stadionbesucher bei dem Polizeieinsatz. Er musste mit schweren Hüft- und Beinverletzungen ins Krankenhaus. "Die genauen Umstände des Sturzes werden ebenfalls vom Dezernat Interne Ermittlungen untersucht", heißt es in eine am Montag veröffentlichten Pressemitteilung der Polizei.

Polizeisprecherin: "Solche Situationen sehen nicht schön aus"

Schon am Freitagabend hatte Polizeisprecherin Sandra Levgrün die Prüfung des Vorgangs angekündigt: "Warum der Kollege in der Situation unmittelbaren Zwang anwenden musste, das werden wir sicherlich im Nachhinein noch aufklären können, auch ob es verhältnismäßig war." Sie ergänzte: "Solche Situationen sehen nicht schön aus. Das hat was mit körperlichem Zwang zu tun, mit unmittelbarem Zwang, den wir an der Stelle anwenden. Und diese Menschen leisten ja Gegenwehr. Insofern sehen die Situationen unschön aus, das ist auch für die Polizei nicht schön, aber es muss nun mal sein. Wir können sie ja nicht einfach gehen lassen, nur weil wir Gegenwehr spüren." Der unmittelbare Zwang der Polizei müsse durchgesetzt werden, so Levgrün. "Und das tun wir und das sind dann auch Bilder, die nicht besonders gut aussehen."

Das Spiel, das der FC St. Pauli 3:0 für sich entschied, war das erste Stadtduell seit zweieinhalb Jahren ohne Corona-Einschränkungen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 16.10.2022 | 18:05 Uhr

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