Heilkraft des Alltags
Das zweite Album des Münchner Schlagzeugers Bastian Jütte mit seinem Quartett heißt "The Cure" - das darf man wörtlich nehmen: Musik als Heilung, die der Alltag bereit hält.
Risiken und Nebenwirkungen können zunehmen, wenn Chefin oder Chef am Jazzschlagzeug sitzt. Denn viel zu oft waren Ahninnen und Ahnen in die Rolle von Rhythmusknechten verbannt, von der darum natürlich heutzutage niemand mehr etwas wissen will. Aber auch die Emanzipation der Schlagwerkerei führte zuweilen in die Irre - wenn Monomanen wie das früh verstorbene ewige Wunderkind Tony Williams umgekehrt alle anderen an der Seite vom Schlagzeug in die Rolle von Knechten zwangen. Das ist heute, unter Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, längst ganz anders: bei Eva Klesse etwa oder Bastian Jütte. Der Münchner vom Jahrgang 1973 legt gerade beim feinen Bremer Laika-Label die neue Quartett-CD vor.
Bastian Jütte Quartett agiert hundertprozentig zusammen
Für die hat Jütte auf eindrucksvolle Weise komponiert und arrangiert, im vom ersten Ton an ausgeklügelten Gleichgewicht zwischen solistischen Momenten und dem gleichberechtigten Spiel im Ensemble. Erstaunlicherweise übrigens, erzählt Jütte, entsteht das Material auf der Gitarre. Lange war kein Quartett mehr am Start, in dem die Mitglieder derart hundertprozentig zusammen agieren: Bassist Henning Sieverts, der so viele Produktionen des leider nicht mehr aktiven Münchner Labels Pirouet geprägt hat, Pianist Rainer Böhm, der immer wieder extrem eigenwillige Wege einschlägt zwischen Jazz und zeitgenössischer Komposition, schließlich Florian Trübsbach an Alt- und Sopransaxofon, der zwar aus Köln stammt, aber den eigenen Jazzweg wie Sieverts und Jütte in bayerischen Gefilden suchte und fand. Er, Böhm und Jütte sind mittlerweile auch Jazzprofessoren in Mannheim und Mainz, Nürnberg, München und Würzburg. Sieverts arbeitet zudem auch im Bayerischen Rundfunk.
"The Cure": Kompositionen mit Charakter
Besonders charakteristisch an den zehn Kompositionen der neuen CD ist die Art und Weise, wie jede für sich tatsächlich den eigenen Charakter bestimmt. Das heißt, wie die vier Stimmen sich im Arrangement behaupten können. Nichts an "The Cure" weist dabei in eine definierte stilistische Richtung, alle Orientierung entsteht ganz autonom in der jeweiligen Komposition, im Arrangement dieser sehr besonderen Stimmen. So steckt die Musik immerzu voller Überraschungen. Nie ließe sich leichthin sagen, wie es jetzt gleich weiter gehen wird.
Wer mag, kann auch darum den Titel wörtlich nehmen: "The Cure", also: die Heilung. Kurz vor dem ersten Lockdown aufgenommen, lässt die Musik von Jüttes Quartett ahnen, wie wichtig es seither war (und auf unabsehbare Zeit bleibt), sich der Kräfte bewusst zu sein, die der Alltag parat hält für den Kampf um das eigene Selbstwertgefühl als Musikerin und als Musiker, als Mensch.
"The Cure"
- Genre:
- Jazz
- Zusatzinfo:
- Label:
- Laika Records
- Veröffentlichungsdatum:
- 17.03.2022
- Preis:
- 17,99 €
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