Zwei Hände in einem roten und einem blauen Boxhandschuh. © ndanko / photocase.de Foto: ndanko / photocase.de

Konkurrenzdenken und Neid: Tief im Menschen verwurzelt

Stand: 13.03.2022 11:42 Uhr

Konkurrenz ist tief in der menschlichen Psyche verankert und gibt es in allen Bereichen des Lebens: Unter Freunden, in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem und auch zwischen Religionen und Weltanschauungen. Lässt sich Konkurrenzdenken überhaupt ablegen?

von Irene Dänzer-Vanotti

Das kapitalistische Wirtschaftssystem lebt von der Konkurrenz. In der gegenwärtigen Phase von digitaler Revolution und Globalisierung ist die Konkurrenz stärker und unübersichtlicher denn je. Auch geistige Systeme wie Religionen und Weltanschauungen konkurrieren miteinander. Wenn Konkurrenz das Ringen um die besten Lösungen ist, wirkt sie produktiv. Jeder Mensch lebt mit der Erfahrung, dass es immer jemanden gibt, der besser, klüger, erfolgreicher oder schöner ist als er selbst. Bieten Religionen eine Stütze bei diesem Gefühl, nicht gut genug zu sein?

Konkurrenzdenken im Kapitalismus

Konkurrenz ist allgegenwärtig. Sportler konkurrieren miteinander, Geschwister, Partner, Kollegen. In der Wirtschaft scheint der Wettbewerb entfesselt. Der Versandhauskonzern bedroht die kleine Buchhandlung. Die kann sich unter diesem Druck nur aufrichten, wenn sie sich auf ihre eigene Qualität besinnt - auf Beratung, auf die Kunst, mit Büchern einen schönen, anregenden Ort zu schaffen. Dazu braucht sie allerdings Kunden, die diesen Wert schätzen, die treu sind und einen Umweg in Kauf nehmen. Vielleicht überlebt dann die kleine Buchhandlung, der Versandkonzern sowieso - aber mittelgroße Händler scheitern.

Definition und Ursprünge des Wortes Konkurrenz

Das Wort Konkurrenz kommt vom lateinischen concurrere. Das heißt zusammenlaufen. In der Konkurrenz wetteifern die Beteiligten um die Gunst von Dritten - sowohl öffentlich als auch privat.

Im erfreulichsten, vielleicht auch anstrengendsten Fall, um die Liebe einer Herzdame oder eines Herzkönigs, im Alltäglicheren um Kunden, Anhänger, Wähler oder Gläubige. Konkurrenz ist meist ein auf Dauer angelegtes Ringen, in dem Erfolg und Niederlagen hin und her wogen.

Rivalität wird in einem geregelten Rahmen ausgetragen

Konkurrenz kennt Gepflogenheiten und ungeschriebene Gesetze. Erst da, wo diese ausgereizt sind, greifen Recht und Ordnung. Auf dem Arbeitsmarkt etwa Verträge und Tarifrecht, unter Produzenten das Kartellrecht, das den Wettbewerb sichert und dafür sorgt, dass er nicht durch Zusammenschluss der Konkurrenten aufgehoben wird. Konkurrenz bietet die Möglichkeit, den eigenen Rang zu definieren und seine Fähigkeiten auszuleben.

Konkurrenzdenken und Neid: Seit Kain und Abel miteinander verwoben

Wer dabei ins Hintertreffen gerät - obwohl das nicht von Dauer sein muss - ist oft neidisch auf diejenigen, die gerade Erfolg haben. Und das - fast - von Anbeginn, wie die Bibel erzählt: Schon der dritte Mensch schaut auf den vierten mit Neid. Kain und Abel buhlen um die Gunst Gottes. So heisst es in der Bibel:

Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: lass' uns auf's Feld gehen. Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot! Gen. 4, 4-8

Konkurrenzdenken gehört zur menschlichen Psyche

Kain und Abel konkurrieren - klassische Konstellation - um die Gunst eines Dritten, um die Liebe Gottes. Jeder will, dass sein Opfer - und damit er selbst - gesehen wird. Erkannt wird. Das ist ein Aspekt jeder Konkurrenz und fängt meist bei Geschwistern an: Alle wollen wahrgenommen werden. Sie buhlen um die Liebe ihrer Eltern, und diese um die Liebe ihrer Kinder. Dass in der Bibel der erste Wettstreit gleich so brutal ausgeht, dass Kain seinen Bruder ermordet, gibt natürlich Rätsel auf, die hier nicht zu lösen sind.

Weil Abel nicht überlebt, müssen sich die Menschen damit abfinden, Kains Kinder und Kindeskinder zu sein, Nachfahren des Mannes, der nicht erträgt, dass sein Bruder nur in diesem einen Augenblick erfolgreicher ist als er selbst. Es gibt in der Geschichte auch keine Rettung vor dieser äußersten Konsequenz, nicht einmal ein Signal der Missbilligung. Kein Blitz fährt vom Himmel. Die Eltern, Eva und Adam, mögen traurig sein, wissen sich aber schnell zu helfen: Sie zeugen einen neuen Sohn. Vielleicht will die Bibel zeigen, wie der Mensch im schlechtesten Falle ist: Sieger oder Mörder. Das ist - nach diesem Bild - die rohe Basis des Menschseins.

Konkurrenzdenken lässt sich nicht ausschalten

Überzeugungen, Regeln und Gesetze fassen das Rohe ein und lenken das Leben in verträgliche Richtungen. Meist führt das zu einem guten Zusammensein, aber in manchen Situationen scheinen dennoch nur zwei Lösungen möglich: Sieg oder Vernichtung des Gegners. Für die Frage der Konkurrenz gilt aber noch ein weiterer Punkt: Die Sanftmütigen rangeln auch miteinander. Zum einen versuchen sie sich oft in eben dieser Sanftmut gegenseitig zu übertreffen. Hinter weicher Stimme kann sich dann eine beinharte Sieger- oder Siegerinnen Mentalität verbergen.

Die von Jesus gepriesenen Sanftmütigen konkurrieren oft, indem sie sagen: bei uns gibt es keine Konkurrenz. Das schmückt jedes Bewerbungsgespräch: "Bei uns brauchen Sie innerbetriebliche Konkurrenz nicht zu fürchten." Ein Satz, bei dem die Alarmglocken schrillen sollten. Denn wo die Konkurrenz negiert wird, wird sie verdeckt ausgetragen und es gibt keine Instrumente, sie zu kanalisieren. Auf dem Nährboden verleugneter Konkurrenz kann Mobbing blühen.

Einer oder eine ist immer besser

Konkurrenz. In Philosophie und Theologie wird sie nicht systematisch gedeutet, obwohl sie zum Menschsein gehört. Und egal ob Menschen Konkurrenz suchen oder ihr eher ausweichen, so schielen sie doch auf ihre Mitmenschen mit dem Blick, den der Dichter Robert Gernhardt beschreibt:

Immer einer besser als du
Du kränkelst
Er liegt danieder
Du stirbst
Er verscheidet
Du bist gerichtet
Er ist gerettet:
Einer immer noch besser
Immer
Immer
Immer. Robert Gernhardt

Es ist dieses "Immer", das so weh tut. Dabei ist es nicht zwangsläufig. Man kann wählen, ob man sich selbst eher über seine eigenen Schwächen definiert oder über Stärken, über Defizit oder Fülle. Und unklar ist auch, ob ein Manko tatsächlich vorhanden ist oder nur von zügelloser Selbstkritik erdacht. Wenn Ratgeber-Autorinnen, Berater oder Werbeleute allen zurufen: "Du musst Dein Leben ändern!". Dann muss man auch mal Nein sagen und der Aufforderung Selbstbewusstsein entgegensetzen: Mit meinen Fähigkeiten finde ich trotz oder wegen des Gerangels mit mir und um mich herum einen passenden Platz im Leben.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Glaubenssachen | 13.03.2022 | 08:40 Uhr

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