Philipp Schmids Pilgerblog: "Reich beschenkt"
Vor dem Start
Ach, du liebe Zeit! Bald beginnt die nächste Pilgerreise und ich habe seit Tagen einen fürchterlichen Ohrwurm. Schlagerfreunde mögen mir verzeihen. Es ist ein Stück von Roland Kaiser, und ich kenne nur den Refrain. Vorsicht, das könnte sich jetzt auch bei Ihnen einnisten: "Ich glaub', es geht schon wieder los! Das darf ja wohl nicht waaaaahr sein..." Weiter komme ich gar nicht, ich muss das als Kind gehört haben und jetzt fällt es mir wieder ein, und ich bekomme es nicht aus dem Kopf.
Es geht also wieder los: Ist es eine neue Pilgerreise oder eine weitere Etappe auf dem Weg? Letztes Jahr sind wir im Dom in Greifswald angekommen, von dort starten wir jetzt wieder. Sind wir angekommen? Bin ich angekommen? Bin ich auf den Geschmack gekommen? Was ist mir geblieben? War ich Pilger, bin ich Pilger? Wieder, immer noch? Viele Fragen. Braucht es eine Antwort?
Zunächst muss ich packen. Was nehme ich mit? Letztes Jahr, zum ersten Mal unterwegs, habe ich mir darüber viele Gedanken gemacht, im Internet und in Büchern recherchiert, mich in Fachgeschäften beraten lassen. Funktionsunterwäsche oder einen "Göffel" hatte ich bislang nicht besessen. Vieles war unnütz, es geht schließlich nicht in die Wildnis, sondern wir pilgern bei uns im Norden.
Also, was das Packen angeht, bin ich schon deutlich entspannter. Ich nehme an Kleidung das mit, worin ich mich wohlfühle, und was nach den Wetteraussichten im Vorfeld ausreichend scheint. Nur nicht zu viel! Jedes Gramm zählt. Das alles lade ich mir schließlich auf den Rücken, ich muss es schultern. Man will ja keinen Ballast mitnehmen. Ich muss abwiegen, was ich brauche. Ich muss abwägen, was ich brauche.
Und was bedeutet überhaupt Ballast? Noch zuhause kann ich es ja im Duden nachschlagen: Ballast: 1. schwere Last, die [als Fracht von geringem Wert] zum Gewichtsausgleich mitgeführt wird; 2. unnütze Last, überflüssige Bürde. Aha. Eine der wichtigen Fragen beim letzten Mal war, wie unterscheiden sich Pilgern und Wandern. Meine Antwort nach der Rückkehr war: Beim Wandern kann man die Lebensfragen ruhig zu Hause lassen, beim Pilgern sollte man sie mitnehmen.
Viele machen sich nach einem gravierenden Einschnitt auf den Weg. Es gibt einen Auslöser, es gibt den Punkt, an dem man erkennt, ich muss mich aufmachen. Da sind die Fragen automatisch im Gepäck. Bei mir ist das anders. Ich habe Gott sei Dank keine Lebenskrise, ich muss nichts neu ordnen, ich möchte nichts ändern. Ich hatte mir vorgenommen, auch im Alltag öfter zu gehen, und dieses Gehen dann auch als Meditation zu verstehen, wie beim Pilgern. Das ist mir nicht gelungen.
"Gehen" im Alltag heißt immer, von A nach B zu kommen. Ein Ziel zu erreichen. Und immer wieder habe ich mich dabei ertappt, dass ich den Weg dazwischen gerne ausgeblendet und übersprungen hätte. Und sich unterwegs mit Fragen zu befassen, gelingt auch nicht. Weil ich eine Antwort finden will. Am Ende des Weges sollte eine Lösung der Frage stehen. Das ist aber ein Irrtum.
Beim Pilgern - und das werde ich hoffentlich wieder erfahren - reicht es, sich die Fragen zu stellen. Sich zu beobachten. Die Umgebung und andere Menschen wahrzunehmen. Herauszufinden, das sind Fragen, die mich begleiten, vielleicht werde ich darauf keine Antwort finden, aber es nützt nichts, zu grübeln. Die Frage zu kennen, ist schon ein großer Teil der Antwort. Ich nehme keine Lebensfragen mit, ich werde darauf hören, welche sich stellen.
Eine Pilgerreise hat immer viel Ungewisses. Man muss auf etwas zugehen, und etwas auf sich zukommen lassen. Ich nehme keinen Ballast mit. Übrigens auch nicht den Duden, er wiegt 980 Gramm...
- Teil 1: Tag 5
- Teil 2: Tag 4
- Teil 3: Tag 3
- Teil 4: Tag 2
- Teil 5: Tag 1
- Teil 6: Vor dem Start