Philipp Schmids Pilgerblog: "Reich beschenkt"
Tag 1
Zeit, dass es endlich losgeht! Der Beginn der Reise ist das Ende der Erwartung. Oder beginnt die Erwartung mit der Reise? Was erwarte ich mir, was wird von mir erwartet? Bei unserem Pilgern im Norden geht das etwas durcheinander, und das muss ich für mich ordnen.
Nach der Rückkehr von einer Pilgerreise wird man von Freunden und Kollegen oft gefragt, "Na, bist Du jetzt ein neuer Mensch?" oder "Hast Du Dich gefunden?" - oft gar nicht böse oder ironisch gemeint, aber es zeigt, dass auch andere Erwartungen haben. Nach einem Wanderurlaub fragt man, "wie war das Wetter?", oder "wie war das Essen?". Man muss keine Erfahrungen mit anderen teilen. Man könnte als Pilger auch flapsig antworten: "Ich habe mich gar nicht gesucht", oder "Ich habe mich zwar gefunden, aber ich mochte mich gar nicht".
Am ersten Tag mussten wir zunächst unsere jeweilige Rolle bei dieser Pilgerreise finden. Schließlich sind Heike und ich schon fast "erfahrene Pilger", zumindest auf diesem Weg, Heike ist zudem noch durch Grimmen, ihren Heimatort gepilgert. Vielleicht geht es also zunächst um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für andere. Der lange Tag, die weite Strecke und viele gemeinsame Stunden waren zu Beginn ideal, um sich kennenzulernen und als Gruppe zu finden. Und wenn Pilgern die Sinne schärft, die Wahrnehmung weit macht, wenn man Zeit hat und weil man die Geschwindigkeit nicht beeinflussen kann und sich dem Rhythmus des Gehens anpassen muss, dann richtet sich bei mir zunächst diese Aufmerksamkeit auf die Mitpilger.
Wie habe ich sie auf den ersten Blick wahrgenommen, welches Bild habe ich mir in der ersten Zeit gemacht, welche Facetten gibt es noch, was trennt uns was verbindet uns? Das ist auch eine Reise miteinander und zueinander. Vielleicht stimmt es, was ich gestern auf dem Weg dachte, man wandert gemeinsam, aber letztlich pilgert jeder für sich. Und so wie man Geräusche, Gerüche, Farben und Licht beim gehen ganz anders wahrnimmt, werden auch die Menschen, mit denen man geht, langsam zu Mit-Pilgern.
Als David und ich uns am Hamburger Hauptbahnhof zufällig vor der Anreise nach Greifswald am Zug getroffen haben - er hat mich am großen Rucksack erkannt - hat er mich mit den Worten angesprochen: "Ich glaube, wie haben das gleiche Ziel…" Heute geht es weiter darauf zu.