Philipp Schmids Pilgerblog: "Reich beschenkt"
Gemeinsam mit vier anderen Pilgern ist Philipp Schmid, Moderator bei NDR Kultur, unterwegs auf der Via Baltica. Im Blog schildert er seine persönlichen Eindrücke.
Tag 5
Zeit, loszulassen. Heute steht die letzte Etappe an. Wir sind kurz vor dem Ziel. Im Regen werden wir Bad Doberan erreichen. Aber die Stimmung ist gut. Eine ganz harmonische Truppe mit so wertvollen Menschen. Inzwischen reicht ein Blick, eine kleine Geste, eine kleine Bewegung. Wir verstehen uns. Und sind so sensibel für die Welt und füreinander geworden, dass es gar nicht mehr vieler Worte bedarf.
Zum Loslassen kann man sich nicht zwingen. Es muss von selbst kommen. Bestimmt spielt auch die tägliche Anstrengung des Gehens eine wichtige Rolle. Wenn der Körper müde ist, kann der Geist frei werden. Das kräftezehrende Laufen lässt unseren Schutzpanzer fallen. Und was wir im Alltag krampfhaft festzuhalten versuchen, lassen wir los, lassen wir gehen und fallen. Natürlich bin ich heute Abend auch gezwungen, Menschen loszulassen, die mir ans Herz gewachsen sind. Als würde ich sie seit Jahren kennen. Und es wird wohl nie mehr so sein wie jetzt auf dieser Reise. Dann sind Gemeinsamkeiten keine gemeinsame Gegenwart, kein gemeinsamer Weg vor uns, sondern die Summe der Erinnerungen.
Ich bin reich beschenkt worden auf diesem Weg, mit wunderbaren neuen Eindrücken, und mit der Fähigkeit, im Gewohnten das Ungewöhnliche wiederzuentdecken. Zeit, Danke zu sagen. Wir haben uns so gefreut, als in Rostock ein Korb mit einer Pilgermahlzeit auf uns gewartet hat, den eine NDR Kultur Hörerin abgegeben hatte. Nicht nur wunderbare selbstgemachte Leckereien sind darin, sondern viele gute Gedanken. Liebevoll zusammengestellt. Danke für die guten Worte der Menschen auf dem Weg. Für die Gastfreundschaft. Für das Teilen. Für die Fürsorge. Für das Willkommen. Für manch skurrile Begegnung, für Komisches, Lustiges und Bewegendes. Was das jeweils genau war, wird die Erinnerung zeigen. Wenn der Weg hinter mir liegt und ich in den Rückspiegel schaue. Das Wichtige wird im Herzen bleiben. Danke für einen unfallfreien Weg ohne großen Streit, ohne Verletzungen an Füßen und Seele. Danke für Musik auf dem Weg. Danke für gemeinsamen Gesang und die stillen Töne. Danke meinen Mitpilgern für die Offenheit. Danke für Eure Hilfe, Euer Herz, danke für Eure Zeit.
Es ist immer gut loszugehen und sich auf den Weg zu machen. Weitergehen kann nur besser sein, als Stehenbleiben. Außer vielleicht, man steht am Abgrund, dann muss man sich vorher umdrehen. Gemeinsam gehen, alleine gehen, vorausgehen oder folgen. Und wenn ein Weg zu Ende ist, beginnt ein neuer. Mal mit mehr Aufbruch und Verwandlung, mal mit weniger. Und während ich im Moment denke, heute gehe der Weg zu Ende, hat vielleicht schon ein anderer begonnen. Oder zeigt sich schon am Horizont. Mit der Zeit. Es gibt immer einen Weg.