Junge Ballettschülerinnen und -schüler tanzen bei einer Probe © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius

Ballett für die Seele: Unterricht für ukrainische Flüchtlingskinder

Stand: 12.07.2022 06:00 Uhr

Vor allem Mütter und ihre Kinder flüchten vor dem Krieg in der Ukraine. Die Ballettschule am Theater in Braunschweig bietet deshalb Unterricht für ukrainische Flüchtlingskinder an. Drei Generationen unterrichten an der Schule, die 1960 gegründet wurde.

von Bita Schafi-Neya

Trainerin Natalia Braschnikowa steht im Ballettsaal. Sie erklärt den Kindern die einzelnen Positionen. Auf einer Fensterbank steht eine Musikanlage, aus der Klaviermusik ertönt. Fünf Elevinnen zwischen neun und zwölf Jahren stehen an der Stange vor einem großen Spiegel. Elevinnen sind weibliche Personen, die sich in der Ausbildung vor allem in den Bereichen Schauspiel und Tanz befindet. Die elfjährige Luba trägt eine schwarze Sporthose und ein rotes T-Shirt. Ihre Haare hat sie zu einem Zopf gebunden. Sie strahlt über das ganze Gesicht: "Ich mache am liebsten Spagat. Es gefällt mir, obwohl ich meine Freunde vermisse. Wir haben Kontakt über Facebook und manchmal auch über das Telefon." Tanzen und dabei Krieg, Elend, Flucht für einen Moment vergessen: Das ist der Wunsch der kleinen Ballerinen. Für die neunjährige Diana sind die Trainingsstunden sehr hilfreich: "Es lenkt mich ab, wenn ich tanze."

Ukrainerin trainiert ukrainische Kinder in Braunschweig

Jeden Freitagnachmittag trainiert Natalia Braschnikowa die ukrainischen Kinder. 2014 ist sie aus der Ukraine gekommen, um in Deutschland zu studieren. Durch die politische Situation, ein Jahr später, gab es kein Zurück mehr. Inzwischen fühlt sie sich in ihrer zweiten Heimat wohl: "Ballett oder Sport hat insgesamt etwas, dass dich aus schwierigen psychischen Situationen retten kann und das hat Ballett mehrmals für mich gemacht. Für mich bedeutet es eine Rettung in einer Form von Kunst, aber auch dieses soziale Miteinander und diese Atmosphäre hier - das ist für mich wie zu Hause." Seit einigen Jahren nimmt Natalia Braschnikowa selbst Unterricht an der Ballettschule am Theater in Braunschweig.

Ballettschule in der dritten Generation

Gegründet wurde die Schule von Erika Standke-Ohme. Sie stand unter anderem als Solotänzerin an der Magdeburger Oper auf der Bühne: "Ich hatte eine Tante, zu der ich immer ging und die sagte, mein Gott, das Mädchen hat ein Talent. Und eines Tages sagte sie: 'Du, weißt du was, die Leipziger Oper, die hat einen Aufruf gestartet. Sie sucht also Elevinnen für den Tänzerberuf.'" Inzwischen unterrichten in ihrer Ballettschule drei Generationen: Mutter, Tochter, Enkelin. Schon als Baby krabbelte Saskia Standke-Ohme in der Tanzschule ihrer Mutter zwischen Spitzenschuhen herum. Später schaffte auch sie den Sprung auf die Bühne, tanzte viele Jahre an der Münchner Staatsoper. Inzwischen jedoch hält Saskia Standke-Ohme den Beruf für brotlose Kunst: "Es ist auch leider so, dass es nicht mehr so viel klassische Tänzerinnen gibt und die Konkurrenz ist auch sehr groß ist, grade aus dem Ausland, da sind die Tänzerinnen und Tänzer auch noch viel jünger. Die Karriere ist beim Tanz einfach schon für Frauen mit Ende zwanzig zu Ende, Manchmal kommen Sechzehnjährige und sind schon fast Solisten."

Ballettunterricht ist ein Stück normales Leben

Ballettunterricht ist dagegen weiterhin im Trend. Und es gibt den ukrainischen Kindern ein Stück normales Leben zurück, sagt Natalia Braschnikowa. Mit wässrigen Augen schaut sie zu ihren Eleven. Sie hofft, dass das Tanzen ihnen hilft, mal abzuschalten. "Man hat manchmal unglaubliches Heimweh. Es kommt wellenmäßig. Vor allem seit dem 24. Februar - natürlich aufgrund des Krieges." So bleibt das kostenlose Angebot für ukrainische Kinder bestehen, solange es nötig ist.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 12.07.2022 | 10:20 Uhr

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Bewegungsapparat

Tanz

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