"Porgy and Bess" in Luzern: Mit Sicherheit ein Stück der Stunde
Das NDR Elbphilharmonie Orchester hat das Publikum beim weltbekannten Musikfestival im schweizerischen Luzern mit Gershwins Oper "Porgy and Bess" begeistert.
Der Chor singt, jubelt und tanzt wie an einem Sonntagmorgen im Bible Belt. Im Publikum springen für ihre Verhältnisse enthemmte Schweizer nach einer mentalitätsbedingten Aufwärmphase am Ende dann doch von den Sitzen auf. Die Stimmung in Luzern stimmt.
Bibelkritik als Ohrwurm
Der Abend ist zwar eine konzertante Aufführung ohne Bühnenbild und Maske, aber wenn Chauncey Packer als mephistophelischer Drogendealer 'Sporting Life' der armen Bess (Elizabeth Llewellyn) eine Tüte 'Happy Dust' unter die Nase hält oder seinen bibelkritischen Hit "It ain't necessarily so", der davon handelt, dass nicht jede Geschichte in der Bibel genauso stattgefunden haben muss, mit Mimik, Gestik und Komik unterlegt, sind Kulissen und Schminke ohnehin überflüssig.
Festival der Blue Notes
Der Abend swingt. Chefdirigent Alan Gilbert ist es gelungen, mit dem Orchester und dem NDR Vokalensemble ein Festival der Blue Notes zum Klingen zu bringen. Die Solistinnen und Solisten begeistern mit Lässigkeit, Witz und Charisma. Golda Schultz singt das oft gecoverte Wiegenlied "Summertimes" wunderzart. Das Liebes-Duett von Porgy und Bess ("Bess, you is my woman now") ist vielleicht der dichteste, schönste Moment des Abends und erinnert in seiner Tragik und Tiefe sogar an Tristan und Isolde, dieses andere unmögliche Paar der Operngeschichte. Was die Musikerinnen und Musiker aus dieser Oper machen, ist Weltklasse.
Diskussion über kulturelle Aneignung
Doch diese Oper ist mehr als nur Ohrwurm-Parade mit Broadway-Aroma. "Porgy and Bess" ist mit Sicherheit ein Stück der Stunde. Es geht um Rassismus, Armut und Gewalt. Weil George Gershwin aber ein weißer, jüdischer Komponist war, der das Leben in einer afroamerikanischen Community beschreibt und vertont, kritisieren manche das Werk heute als kulturelle Aneignung und klischeehaft - ein bisschen wie bei Winnetou.
Für Morris Robinson (Porgy), ein Star der Metropolitan Oper in New York, ist diese Oper ein Lebensthema. "Es ist ein wichtiges Stück schwarzer, amerikanischer Künstlergeschichte, denn bevor es Afroamerikanern überhaupt erlaubt war, auf Opernbühnen zu singen, hat Gershwin uns dieses Werk geschenkt, damit wir zeigen durften, was wir können", sagt Robinson. "Dieses Werk bedeutet mir, meiner Kultur und meinem Land sehr viel."
Große Ehre für NDR Elbphilharmonie Orchester
Für das NDR Elbphilharmonie Orchester ist der Auftritt in Luzern, im Konzerthaus direkt am Vierwaldstättersee, ein echter Ritterschlag, denn hier ist vor allem die Champions League der Musikwelt zu Gast. Festivalintendant Michael Haefliger erkennt an diesem Abend sein eigenes Publikum nicht mehr wieder und schwärmt: "Die Schweizer sind ja eher reserviert. Das war aber heute überhaupt nicht der Fall. Dieses Konzert war wirklich eine Sternstunde unseres Festivals".
Nach dem Festival ist vor dem Festival
Mit Jubel, langem Beifall und stehenden Ovationen endet der aufregende Abend am Vierwaldstätter See. Nach der Premiere auf der großen europäischen Musikbühne in Luzern geht es für das Orchester gleich zurück nach Kiel. Dort spielen die Musikerinnen und Musiker "Porgy and Bess" am Sonnabend noch einmal zum Finale des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals.
