Wie Nachhaltigkeit in der Kunst funktionieren kann
In Kassel gehört die documenta fifteen zu den Initiativen für Materialkreisläufe (IfM) - einem Netzwerk, das sich für Nachhaltigkeit einsetzt. Aber auch sonst sind Künstlerinnen und Künstler zunehmend an diesem Thema interessiert.
Zu Besuch bei Kiels Ateliergemeinschaft "neunzig°". Patrick Wüst ist Video- und Installationskünstler. Der 29-Jährige gehört seit 2021 dazu und zeigt auf einem gesplitteten Bildschirm die Arbeit "Walking on a thin line". Bei ihr arbeitet sich seine Kamera an einer imaginären Grenzmauer entlang. "Das Erste, was ich für diesen Film getan habe", erzählt er, "war tatsächlich eine sechs Meter lange Mauer als Modell im Atelier zu bauen. In meinen Film dient diese als Kulisse, die ich filmisch inszeniert habe. Der Film handelt um Architektur der Unterdrückung."
Die Arbeit entstand 2018 unter dem Eindruck der Flüchtlingsdebatten. Sie zeigt die Mauer als einzige Hürde. Immerhin hätten alle Grenzbefestigungen der Erde zusammen die Länge des Äquators, sagt Patrick Wüst dazu. Es soll um die Kunstlandschaften gehen, die dahinterstecken. Sie ähneln realen Gebieten, sind verfremdet und zu dystopischen Filmsets umgebaut und durchmodellierte Gebilde.
Organisches Pulver für Abgüsse
"Es gibt viele klassische Materialien, um in der Bildhauerei Abformungen zu machen. Eine davon ist eben mit Silikon zu arbeiten. Es ist nicht so gesund. Es ist auch teuer. Für den Film habe ich bewusst vorgehabt, viele Güsse herzustellen." Die hätte Patrick Wüst vielleicht einmal oder auch zweimal benutzt. Spätestens nach Abschluss der Arbeit aber hätten sie nur noch Platz weggenommen. "Das war für mich dann einfach die Idee zu sagen: Ich muss umdenken, nicht mehr so viel produzieren, was ich nicht mehr brauche oder dann weggeworfen wird. Dann bin ich auf das Alginat gestoßen."
Patrick Wüst geht zum Regal, holt eine Tüte mit Alginat heraus. Das feine, helle, schnell abbindende Pulver ist organisch. Es besteht aus Algen. Als Abformmasse wird es auch in der Zahnmedizin verwendet. Wüst nutzt es für die Negativformen seiner Landschaftsabgüsse: "Es ist ein Naturprodukt. Das löst sich dann wieder auf." Noch besser wäre es, wenn er das Alginat wiederverwenden könnte - was nicht geht. Patrick Wüst nimmt allerdings für andere Objekte auch konsequent Gips. Der lässt sich recyceln und neu ansetzen. Und er hat PLA, ein einschmelzbares Material auf Mais- und Zuckerrohrbasis.
Forschen für nachhaltige Materialien
An der Kieler Muthesius Kunsthochschule gibt es ein Materialforschungslab für nachhaltiges Arbeiten in der Kunst. Kerstin Mayer leitet es. Sie zeigt Materialien, an denen die Studierenden, vor allem die Industriedesigner und Freien Künstler, forschen: "Es gibt so eine Methode mit dem Namen "Rammed Earth" oder zu Deutsch: 'Stampflehm'. Der Auftrag war, diese Methode zu recherchieren, sich selbst dafür die Formen herzustellen und dann tatsächlich es zu schaffen, Bauziegel mit den möglichst simpelsten Mitteln herzustellen. "So entstanden neben unterschiedlichsten Ziegeln auch Einweg-Tassen. Sowieso waren auf einmal viele Formen möglich."
Die Studierenden arbeiten aber auch mit dem Material Mycelium. Kerstin Mayer holt helle Platten aus einer Kiste, bis zu DIN A3 groß. Sie sind stabil, belastbar und reine Natur: "Pilze sind ja ganz interessante Organismen. Sie leben in einem Geflecht, das Myzel heißt. Das kann man sich wie die Wurzel der Bäume vorstellen. Und die kann man wachsen lassen und abtöten. Dann hat man eine Art styroporartiges Material." Dieses eignet sich für den Bau von Objekten.
Konsequenter über Nachhaltigkeit in der Kunst nachdenken
Patrick Wüst wird im neuen Semester an der Muthesius studieren. Er wird sich mit natürlichen und wiederverwertbaren Materialien beschäftigen: Habe es alles vorher schon gegeben, sagt er. Vielleicht, dass seine Generation etwas konsequenter sei. "Ich denke schon, dass es in den letzten fünf, sechs Jahren auch unter meinen KollegInnen ein Thema geworden ist. Als Künstler hat man einen sehr großen Verbrauch. Warum nicht da auch schauen, wie ich nachhaltig sein kann, wenn ich es in meinem Leben schon versuche."