Christo setzt in Italien auf Lübecker Stoffexperten
Überall sind Absperrzäune, Security-Mitarbeiter und Verbotsschilder: Der kleine Ort Sulzano am Lago d'Iseo scheint etwas zu verbergen. Beim Gang zum Schiffsanleger macht der unwissende Besucher große Augen. Über den See schlängelt sich ein langer weißer Steg, der das Festland mit zwei Inseln verbindet. Das ist aber keinesfalls ein "Geheimprojekt der Armee" wie eine verdutzte englische Touristin vermutet, sondern das aktuelle Großprojekt von Verhüllungskünstler Christo.
Nähen im Akkord
"The Floating Piers", zu deutsch "schwimmende Stege", heißt diese Installation, bei der drei Kilometer lange Stoffstege über den See verlegt werden. Christo setzt dabei voll und ganz auf die Hilfe der Lübecker Firma "Geo - die Luftwerker". Insgesamt 90.000 Quadratmeter Stoff haben die Mitarbeiter bereits zugeschnitten und genäht. Bis zur Eröffnung am Sonnabend müssen die Schleswig-Holsteiner zusammen mit Hunderten Helfern die nackten Plastikpontons, die jetzt bereits im Wasser schwimmen, eindecken.
Schlechtes Wetter könnte Zeitplan verzögern
"Ja, wir schaffen das", ist sich Robert Meyknecht, Chef des Lübecker Unternehmens, sicher. "Wir liegen im Zeitplan, nur das Wetter könnte uns noch in die Suppe spucken." Denn die Witterung in der Region ist extrem wechselhaft. Eben noch strahlend blauer Himmel und Sonnenschein - eine Stunde später dunkle Wolken, Regen und Gewitter. "Wir haben jetzt eine eigene Wetter-App, die uns rechtzeitig warnt." Denn das Arbeiten auf den Stegen wäre bei Unwetter lebensgefährlich.
Hubschrauber fliegen Stoffe über den See
Meyknecht und sein Team haben ihr "Näh-Camp" in einer ehemaligen Flugzeugwerft ganz in der Nähe aufgeschlagen. Dort arbeiteten die zwölf Mitarbeiter zuletzt Tag und Nacht. Es ist ein gelb-orange leuchtendes Nylon-Gewebe, das die Stege jetzt umhüllen soll. Hubschrauber fliegen die in großen Taschen verpackten Stoffballen über den See und bringen sie direkt an die Stege. Auch bei der Montage werden die Lübecker wieder voll eingespannt sein. Die Zusammenarbeit mit Christo ist für die Lübecker Näher eine Ehre. Es sei toll mit einem solchen Star zusammenzuarbeiten, schwärmt Luftwerker-Chef Meyknecht: "Christo ist ein super Typ. Er ist allerdings auch sehr emotional. Wenn ihm etwas nicht gefällt, dann wird's schon ein bisschen spannend. Aber diese Emotionalität - die reißt einen wirklich mit."
Erste Besucher aus Deutschland angereist
Der Starkünstler selbst ist - genau wie die Produktionsstätte der Lübecker Näher - abgeschirmt vor der Öffentlichkeit. Allzu viel soll im Vorfeld auch nicht bekannt werden. "Aber genau das macht den Reiz aus", erklärt eine deutsche Urlauberin, die extra aus Aachen für Christo angereist ist. Sie sei keine Museumsgängerin, aber Christo mache ja Kunst für jeden, Kunst zum Anfassen. Und bald auch zum Begehen. Sonnabend sollen die Stege für Besucher geöffnet werden. Bis dahin müssen das Lübecker Luftwerker-Team sowie die vielen anderen Christo-Helfer alles geschafft haben. Erwartet werden mehr als eine halbe Million Menschen, die sich dann auf den "Floating Piers" einen uralten Menschheitstraum erfüllen: einmal übers Wasser gehen.
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