Bildhauer Bertrand Freiesleben beim Büsten modelieren © Martina Dernehl

Bildhauer modelliert Nobelpreisträger in Lübecks Innenstadt

Stand: 22.05.2022 09:48 Uhr

In einem offenen Pop-up-Atelier fertigt der Bildhauer Bertrand Freiesleben Porträts der drei Nobelpreisträger Thomas Mann, Willy Brandt und Günter Grass. "Talking Heads" ist der Titel des Projekts.

von Martina Dernehl

Ein Modellierholz, zwei Pakete Ton und eine große Portion Intuition. Das sind die Zutaten von Bertrand Freiesleben. Bildhauer, Kunsthistoriker und Analytiker. In Lübeck geboren, seit 30 Jahren Wahl-Berliner. Er wirkt offen und suchend. Neugierig darauf, was ihn im Innersten antreibt. Promis aus Politik und Kultur kommen zu ihm. Er schenkt ihnen Aufmerksamkeit, nimmt sie ernst, versucht die Essenz dieser Menschen zu spüren. Die Liste der Persönlichkeiten, die sich ihm anvertraut haben, ist lang: Politiker Egon Bahr, Walter Scheel, Gregor Gysi, Klaus von Dohnanyi, Lord Ralf Dahrendorf oder Schauspieler Dieter Hallervorden.

Sie alle saßen bei ihm, in seinem Berliner Atelier. Dort entstehen aus seinen Händen Porträt-Büsten für die Ewigkeit. Er ist mobil und besucht seine Auftraggeber auch Zuhause: Gerhard Schröder in Hannover, Sternekoch Eckart Witzigmann in München, Dirigent Kurt Masur in Leipzig oder Haribo-Chef Hans Riegel in seinem Hotel bei Koblenz. Der 54-jährige Bertrand Freiesleben gehört wohl derzeit zu den erfolgreichsten deutschen Porträt-Bildhauern. Sie stehen im Foyer der Berliner Philharmonie oder in den Bundesministerien.

Drei Lübecker Nobelpreisträger in Ton modelliert

Büsten stehen in einer Reihe © Martina Dernehl
Sieben Büsten und drei Nobelpreisträger: Thomas Mann, Günter Grass und Willy Brandt

In Lübeck arbeitet der Tongestalter seit Anfang Mai täglich zwölf Stunden in einem leerstehenden Ladengeschäft direkt am Parkhaus bei der Marienkirche. Ununterbrochen purzeln Besucher*innen in das offene Pop-up-Atelier. Das ist auch so gewünscht. Denn Freiesleben sucht den Kontakt, den Austausch mit Lübecker*innen und allen Interessierten. Das Projekt: Die drei Nobelpreisträger Thomas Mann, Günter Grass und Willy Brandt aus Ton zu modellieren. Sie alle leben nicht mehr. Das ist die Herausforderung für den Künstler.

Seine Grundlage sind vor allem Fotos oder Filmausschnitte. Bei Günter Grass beispielsweise auch Erzählungen von Menschen, die ihn kannten. "Es gibt ja noch etliche Fotografen im Lübecker Umfeld, die ihn getroffen und fotografiert haben. Wie habt ihr ihn empfunden und gesehen? Das ist der Sinn des Projektes, dass die Erfahrungen der anderen einfließen und ich auch ihren 'Grass' zeigen kann,“ erzählt Bertrand Freiesleben.

Ehemalige Grass-Assistentin besucht Bildhauer

Hilke Ohsoling und Bertrand Freiesleben stehen neben der Büste von Günter Grass © Martina Dernehl
Hilke Ohsoling und Bertrand Freiesleben zusammen mit der Büste von Günter Grass

Auch Hilke Ohsoling steht plötzlich im offenen Atelier. Auch wenn die Büsten schon alle fertig sind, freut sie sich, den Künstler nach zahlreichen Telefonaten mal endlich kennen zu lernen. Sie war fast 20 Jahre die persönliche Assistentin von Günter Grass. Bis zu seinem Tod, im April 2015. Sie plante Grass' Reisen und kümmerte sich um seine Kontakte. Denn der Bildhauer und Schriftsteller hatte in seiner Werkstatt nie ein Telefon.

Heute leitet Ohsoling die "Günter und Ute Grass Stiftung": "Ich erkenne verschiedene Züge wieder. Man sieht, dass er nicht Modell gestanden hat, dann wäre er nicht so schlank ausgefallen. Ich bin positiv überrascht. Es ist immer schwierig, jemanden in solch einer Arbeit zu sehen, wenn man ihn gut gekannt hat. Wir haben so eng zusammen gearbeitet, dass ich ihn mir jederzeit vorstellen kann. Dann ist es natürlich klar, dass ein Grass von Freiesleben anders auf mich wirkt, als eine Büste von Thomas Mann." Ob die dreidimensionalen Porträt-Büsten von Mann, Grass und Brandt in Lübeck bleiben, ist noch nicht geklärt. Der Künstler ist sich ziemlich sicher: "Ich glaube nicht, dass es an einem Stifter mangelt, wenn die Stadt die Büsten haben möchte."

Christian Modersohn war der Auslöser zum Modellieren

Bertrand Freiesleben hält eine Büste in die Kamera © Martina Dernehl
Bertrand Freiesleben und seine Büsten

Bertrand Freiesleben - übrigens kein Künstlername - studiert drei Semester Bildhauerei in Kiel und schmeißt es hin. Geht dann ein Jahr nach New York und tobt sich in der Konzept-Kunst aus. Für ihn zu oberflächlich und flüchtig. Zurück in Deutschland studiert er Kunstgeschichte in Berlin. Nach einer beschwingten Sommerparty im Künstlerdorf Fischerhude in Niedersachsen bei Christian Modersohn, einem Sohn von Künstler Otto, kam die Idee: "Dich modelliere ich!". So entstand seine erste bedeutsame Büste. Damit war klar: "Das ist ein guter Weg," erinnert sich der junge Freiesleben. Das ist nun 30 Jahre her.

Jeder Mensch habe eine für ihn typische Körperhaltung: "Wie sitzt der Kopf auf dem Hals? Wie sitzt der Hals auf dem Nacken? Wie guckt mich jemand an? Das ist für mich bedeutsam. Das ist auch das, was ich mit der Person verbinde." So kam auch Soziologe, Lord Ralf Dahrendorf, zu ihm. Da war der Künstler sogar etwas aufgeregt. Überrascht war er, dass Dahrendorf mit seinen Kindern so gut umging: "Meine Söhne waren damals drei und fünf Jahre alt. Ich bin in der Wohnung verschwunden, um den Kalender für die letzte Terminvereinbarung zu holen. Dann kamen sie vom Hof rein, ins Atelier. Ich komme runter und da sitzen meine beiden Jungs links und rechts von Herrn Dahrendorf und die hören zusammen Käpt`n Blaubär."

Abschluss der Aktion mit Museumsdirektor

Bis zum 24. Mai stellt Bertrand Freiesleben seine Ton-Modelle im offenen Atelier aus. Er ist von 9-21 Uhr vor Ort. Professor Hans Wißkirchen, Direktor der Lübecker Museen, wird das Kunstprojekt am 24. Mai vor Ort beenden. Jeder ist herzlich eingeladen, sich über die drei Lübecker Nobelpreisträger mit Künstler Bertrand Freiesleben auszutauschen.

Bildhauer modelliert Nobelpreisträger in Lübecks Innenstadt

Mitten in der Lübecker Altstadt fertig der Bildhauer Bertrand Freiesleben Porträtbüsten der drei Nobelpreisträger Thomas Mann, Willy Brandt und Günter Grass.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Parkhaus bei der Marienkirche

Lübeck
Öffnungszeiten:
9-21 Uhr
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 23.05.2022 | 07:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Ausstellungen

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Die Schauspielerin Philine Schmölzer schaut im Film als Wienke traurig in die Ferne. © ARD Degeto/Nordfilm GmbH Foto: Christine Schroeder

Schimmelreiter modern: Der Film "Tod am Deich"

Der Film nach dem Roman "Hauke Haiens Tod" von Robert Habeck und Andrea Paluch läuft am Sonnabend im Ersten und ist ab Donnerstag in der Mediathek zu finden. mehr