Walter Blender, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Bad Segeberg, im neu errichteten Denkmal für die alte Synagoge © NDR Foto: Johannes Tran

Bad Segeberg: Jüdische Gemeinde eröffnet Denkmal für alte Synagoge

Stand: 09.11.2021 08:14 Uhr

Am 9. November 1938 schändeten Nazis die Synagoge in Bad Segeberg. Weil sie zwischen Wohnhäusern stand, wurde sie nicht niedergebrannt, 1962 jedoch abgerissen. Nun erinnert eine Stahlkonstruktion an die alte Fassade.

von Johannes Tran

Ein grautrüber Novembermittag in Bad Segeberg. Nieselregen fällt auf die Stahlkonstruktion des Denkmals. Walter Blender, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, geht durch den Türrahmen der Gedenkstätte. Aus einer Stofftasche holt er Schmirgelpapier heraus und beginnt, die rechte Seite des Rahmens zu schleifen. Letzte Vorbereitungen für die Eröffnung.

Durchlässige Stahlkonstruktion erinnert an alte Synagoge

"Wir wollen hier noch eine Mesusa anbringen", erklärt Blender. "Das ist eine Kapsel, wo ein Gebet drin ist, eine Art Glaubensbekenntnis für alle Juden. Eine Mesusa wird immer an die Pfosten eines Hauses oder die Tore einer Stadt befestigt, so leicht schräg, damit dieses Haus oder diese Stadt gesegnet ist."

Synagoge Bad Segeberg © NDR Foto: Johannes Tran
Die Stahlkonstruktion bildet die Fassade von Bad Segebergs alter Synagoge nach.

Auf der anderen Seite des Türrahmens ist ein Schild eingelassen. "In Gedenken an die ermordeten Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Bad Segeberg" steht dort. Daneben: 67 Namen. Sie sollen nachdenklich machen, sagt Blender. Wie auch die Form des Denkmals an sich: eine durchlässige Stahlkonstruktion.

Walter Blender: "Wir haben kein schützendes Dach"

"Wir wollen damit zeigen, dass wir keine schützenden Wände haben und kein Dach", erzählt der Gemeindevorsitzende. "Gerade stehen wir drin und haben unsere Mütze, unsere Kapuze auf, weil es regnet. Wir haben kein schützendes Dach. Das soll die Symbolik sein. Und die Menschen sollen reingehen und sollen sich dessen bewusst werden. Die sollen sich das anschauen."

Die Stahlkonstruktion, acht Meter breit, knapp elf Meter hoch, ist der Original-Fassade der ehemaligen Synagoge nachempfunden, erklärt Architektin Ilka Weinreich vom Büro BAS: "Wenn man diese Kulisse sieht und dann guckt, wie die Fassade der Synagoge 1962 einmal aussah, dann kann man das übereinanderlegen. Hier ist wirklich die alte Fassade in Stahl abgebildet."

Stadthistoriker: "Dies ist ein lebendiger Ort geworden"

Die Baukosten von rund 55.000 Euro sind durch Spenden zusammengekommen. Vorher war an dieser Stelle eine Baulücke. Kaum etwas erinnerte an die ehemalige Synagoge, erzählt der Bad Segeberger Stadthistoriker Axel Winkler. 

"Man hat jetzt schon eine Vorstellung von diesem Gebäude", so Winkler. "Und durch die Gestaltungselemente hinter dem Eingang, die Gedenktafel, den Davidstern, die Infotafeln und die Mikwe (rituelles Tauchbad, die Redaktion) ist dies ein lebendiger Ort geworden, wo man jetzt auch von der Schulklasse bis zum Altenheim Bildungsveranstaltung anbieten kann."

Eröffnung am Jahrestag der Reichspogromnacht

Ganz bewusst am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, eröffnet die jüdische Gemeinde ihr neues Denkmal. Es ist für ihn, sagt der Vorsitzende Walter Blender, eine Mahnung, nicht nur in die Vergangenheit zu schauen - sondern auch auf den Antisemitismus in unserer heutigen Zeit.

Weitere Informationen
Ein schwarz-weißes Foto der alten Fassade. © NDR

Denkmal erinnert an ehemalige Synagoge in Bad Segeberg

Wo einst eine Baulücke klaffte, soll jetzt eine nachgebildete Fassade den Gedenkort sichtbarer machen. mehr

Brennende Synagoge in der Bergstraße in Hannover am 10. November 1938. © HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum Hannover. Foto: Wilhelm Hauschild

Angeordneter Terror in der Reichspogromnacht

Auf Geheiß der Nationalsozialisten brennen 9. November 1938 auch in Norddeutschland zig Synagogen und jüdische Geschäfte. mehr

Besucher des Joseph-Carlebach-Platz, auf dem mit Kreide die Grundrisse der Bornplatz-Synagoge, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde, aufgemalt sind, zünden Grablichter an. © dpa Foto: Axel Heimken

Reichpogromnacht: Zukunft jüdischen Lebens in Norddeutschland

Der 9. November ist Tag der Trauer für jüdische Menschen. Staatsverträge zur Förderung jüdischer Kultur und Religion geben Hoffnung. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 09.11.2021 | 06:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

NS-Zeit

Architektur