"Woyzeck"-Premiere in Hamburg: Klassiker fährt gegen die Wand
Am Sonnabend hat am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Georg Büchners Klassiker "Woyzeck" Premiere gefeiert. Lucia Bihlers eindimensionale Inszenierung lässt unklar, was Woyzeck zum Täter werden lässt.
Ein Mann ersticht seine Freundin, ermordet sie. Tötet er sie aus blankem Hass, aus Eifersucht, aus Verzweiflung? Oder weil sie eine Frau ist? Dann ist es ein Femizid - laut Statistik des Bundeskriminalamts kamen allein 2020 in Deutschland 139 Frauen so ums Leben.
Woyzeck ist ein Underdog, ein gedemütigter sogenannter kleiner Mann. Er tötet Marie, weil er glaubt, sie liebt einen anderen. Es ist der brutale Schluss des Stückes von Georg Büchner. In Lucia Bihlers Woyzeck-Umdeutung geschieht der Mord gleich zu Beginn - die Regisseurin versucht, Marie ins Zentrum zu setzen.
Femizid steht bei Georg Büchner nicht im Zentrum
Aber der Femizid ist eben nicht das Zentrum des Stückes, so sehr man es biegt und bricht. Es ist vielmehr die Geschichte einer Kette männlicher Gewalt an Männern, an Kindern und an Frauen, nur blendet das die Regie aus. Und damit wird der Abend eindimensional und flach.
Hoch oben auf der Bühne schwebt ein Auge, füllt blinzelnd das Bühnenportal aus, umstrahlt von rosa Licht: Vielleicht ist es das alles sehende Auge Gottes oder unser aller Auge, das die tägliche Gewalt an Frauen sieht, aber nichts dagegen tut. Möglich.
Plüschiges Höllenspiel im Deutschen Schauspielhaus
Links an einem Schlagzeug sitzt ein immer wieder diabolisch ins Publikum blinzelnder Drummer, mit Hörnern, langen blonden Haaren, einem harlekinhaften Mieder und weißen Lackstiefeln, die übers Knie gehen. Er und sein Kollege sind die diabolischen Strippenzieher dieses plüschigen Höllenspiels, das wie eine groteske Jahrmarktsvorstellung wirkt, zwischen David Bowie und "Rocky Horror Picture Show".
Hinter dem Auge öffnet sich, angekündigt jeweils vom Schlagzeug, ein viereckiger Raum, ein schalldicht ausgepolstertes rosa Zimmer. Hier geschieht die Handlung, der Mord. Josef Ostendorf im ballonseidenen Trainingsanzug als Frauenmörder, Bettina Stucky als seine Freundin Marie.
Lucia Bihlers "Woyzeck": Nerven werden unendlich strapaziert
Die sadistischen Szenen, in denen Woyzeck von seinem Hauptmann gedemütigt, von einem Arzt missbraucht wird, sind groteske Shownummern. Marie schwärmt für einen schneidigen Offizier. Irgendwann beginnen sich, die Räume zu drehen, Woyzeck gerät in ein Labyrinth der Gewalt, die Szenen werden mehrfach wiederholt - und die Nerven unendlich strapaziert.
In keiner Sekunde wird klar, was Woyzeck zum Täter werden lässt. Damit wirkt auch der Mord an Marie läppisch. Hier aber, da wird Lucia Bihlers Regie so richtig schön moralisch, befreit sich Marie in der gefühlt hundertsten Wiederholung aus ihrer Rolle als Opfer. Und geht, souverän lächelnd, von der Bühne. Schön wär's.
Lob und Kritik beim Publikum
Das Echo im Publikum ist gespalten. "Ich fand es genial, vor allem, wie es gekippt ist", erzählt eine Zuschauerin. Einige loben die Wiederholungen, für andere haben die Varianten keinen Mehrwert. Und ein Zuschauer fasst sein Erlebnis so zusammen: "Es hat mich gar nicht, absolut null ergriffen. Wir haben nichts über die Entstehung von Gewalt in der Welt, und besonders bei Männern, erfahren, gar nichts! Wir waren bass erstaunt, dass nicht ein einziges Buh ertönt ist!"
Hier fährt ein Klassiker gegen die Wand. Dass neben Woyzeck und Marie noch ein drittes Opfer auf der Bühne kauert, das gemeinsame Kind, scheint die Regie schlicht vergessen zu haben.
"Woyzeck"-Premiere in Hamburg: Klassiker fährt gegen die Wand
Lucia Bihlers eindimensionale Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus lässt unklar, was Woyzeck zum Täter werden lässt.
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- Bühne
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Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg