Szene aus Don Karlos mit Elisabeth (Claudia Friebel) und Don Karlos (Tristan Steeg) © Olaf Struck/Theater Kiel Foto: Olaf Struck

Schillers "Don Karlos" in Kiel: Ein anspruchsvolles Theatererlebnis

Stand: 23.04.2022 08:41 Uhr

Schillers "Don Karlos" ist ein dramatisches Gedicht in fünf Akten. In Originalform würde es auf die Bühne rund sechs Stunden dauern. Nun kommt der Klassiker als neuen Inszenierung ans Kieler Theater.

von Lina Bande

Kurz könnte man glauben, im falschen Theatersaal gelandet zu sein: ein modernes Loft mit grauen Betonsäulen und großer Fensterfront, gegen die der Regen prasselt. Auf der Bühne keine Spur von einem prunkvollen spanischen Königspalast im 16. Jahrhundert. Dann wird der erste Satz gesprochen und es ist klar: das ist doch Schillers "Don Karlos". Die Sprache hat Regisseur Malte Kreutzfeldt beibehalten, beim Rest aber ordentlich den Rotstift angesetzt: "Wir haben von den über 200 Seiten so viel gestrichen, dass es jetzt tatsächlich ein Exzerpt von 75 Seiten ist."

Nur wo fängt man da an?! Immerhin gibt es mehrere Erzählstränge, die alle auf Don Karlos' Tod hinführen, der wiederum mit einem Countdown angezählt wird. Don Karlos ist der spanische Kronprinz und sein Vater, König Philipp, liebt die Macht deutlich mehr als seinen Sohn. Er ist eng mit der katholischen Kirche verbandelt.

Regisseur fokussiert sich auf ein Oberthema

Es ist die Zeit der Inquisition und dann liebt Karlos ausgerechnet seine Stiefmutter, die Königin. Ein Geflecht aus Intrigen, Verrat, Eifersucht und Verzweiflung entspinnt sich aus dem Malte Kreuzfeldt in seiner Fassung erst mal ein paar Figuren herausgenommen hat: "Es gibt einen ganzen Hofstaat, den kann man leicht streichen. Aber die Geschichte wird sehr schnell sehr kompliziert und wenn man falsch streicht, dann bricht sie auch sehr schnell zusammen."

Dazu kommt noch die ungewohnte Sprache, in die man sich erst einmal reinhören muss. Da bringt das Kürzen von Dialogen, das Streichen von Szenen und Verknappen von Handlungen einen weiteren Vorteil: die Fokussierung auf ein Oberthema: "Diese ganze Geschichte - die Familiengeschichte, die Liebesgeschichte, der Krimi - das ist alles toll und spannend und wichtig zum Gucken - aber, der eigentliche Kern von "Don Karlos" ist ein Aufruf zur Demokratie und ein Aufruf zum humanistischen Denken."

Früherer evangelischen Landesbischof Ulrich in Gastrolle

Denn Don Karlos und sein Freund, der Marquis von Posa, haben ihre Ideale. Sehnen sich nach Freiheit und Selbstbestimmung, losgelöst von Staat und Kirche. Beide bezahlen das am Ende mit dem Leben, wegen der Gnadenlosigkeit des Königs. Den verkörpert Imanuel Humm so grandios, dass man im Publikum ein bisschen tiefer in den Sessel rutscht, wenn er zur Schimpftirade ansetzt.

In der letzten Szene, kurz vor Don Karlos' Tod, bekommt er dann den noch viel skrupelloseren katholischen Großinquisitor an seine Seite, gespielt vom früheren evangelischen Landesbischof Gerhard Ulrich: "Für mich ist schon diese Besetzungsidee ein genialer Verfremdungseffekt, durch den diese kantige, menschenverachtende Figur hervorgehoben wird. Ich glaube, dass ist immer eine große Herausforderung, in eine Rolle hinein zu gehen, die das genaue Gegenteil von dem ist, was mein Leben lang für mich wichtig gewesen ist."

Umsetzung erfordert Konzentration vom Publikum

Eine knapp drei Stunden lange Inszenierung von Schillers "Don Karlos", der das Kürzen und Fokussieren sehr gut getan hat. Die gut 140 gestrichenen Seiten vermisst man jedenfalls nicht. Ein anspruchsvolles Theatererlebnis, das ein bisschen Konzentration erfordert. Wenn man sich darauf einlässt, gibt es aber düsteren Krimi, Familiendrama und herzzerreißende Liebesgeschichte in einem.

 

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Schillers "Don Karlos" in Kiel: Ein anspruchsvolles Theatererlebnis

Malte Kreutzfeldt hat Schillers Klassiker "Don Karlos" am Kieler Schauspielhaus inszeniert. Ein Krimi und eine Liebesgeschichte in einem.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Theater Kiel
Rathausplatz 4
24103 Kiel
Hinweis:
Regie/Ausstattung: Malte Kreutzfeldt

mit:
Don Karlos - Tristan Steeg
Marquis von Posa - Calvin-Noel Auer
Philipp II. - Imanuel Humm
Königin Elisabeth - Claudia Friebel
Prinzessin Eboli - Isabel Baumert
Domingo - Zacharias Preen
Alba - Rudi Hindenburg
Lerma - Felix Zimmer
Der Großinquisitor - Gerhard Ulrich
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 22.04.2022 | 16:20 Uhr

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Theater

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