Robert Wilson am Thalia Theater: Wohlkalkulierte Überwältigung
Mehr als 20 Jahre nach seinen Bühnenerfolgen wie "Black Rider" kehrt der Theaterstar Robert Wilson ans Hamburger Thalia Theater zurück. Seine Inszenierung "H - 100 seconds to midnight" ist nun dort uraufgeführt worden.
Die Uhr ist abgelaufen: Weltuntergang. Jetzt. Bei Robert Wilson: Stille und dann, das Meer. An dieser Stelle würde man so langsam seinen Mantel nehmen und in die Nacht verschwinden, aber es geht noch weiter.
Bei Robert Wilson gibt es ein Leben nach dem "Doomsday." Lachende Stimmen, im Hintergrund ein gigantisches Video mit einem Kind, das im Sand kniet. Das Wörtchen "Kitsch" drängt sich leider auf, wenn es dort heißt: "Schaut hoch, zu den Sternen, nicht hinunter auf eure Füße." Für manchen Besucher war das eine große Enttäuschung: "Ich fand es einen völligen Quatsch. Ich hab mich echt verarscht gefühlt. Ich fand, das war so eine Aneinanderhängung von Plattitüden, Geräuschen, nichts für mich."
Robert Wilson inszeniert ein Bühnengedicht
Die Überwältigung ist natürlich wohlkalkuliert. Robert Wilson schafft unfassbar eindringliche Bilder. Jens Harzer steht da, als schwarzer Scherenschnitt vor einer Wolke aus aschfahlem Licht. Barbara Nüsse vorne, ein grames Gesicht, und sie stellt die Frage der Fragen: "Gibt es einen Gott?" Gleichzeitig brechen sich hinten auf einer großen Leinwand die Wellen. Die Gischt scheint über die Zuschauerreihen zu schwappen.
Robert Wilson erzählt keine Geschichte, sondern er inszeniert ein Bühnengedicht in drei Stationen und zaubert wirklich Stimmungen aus Licht. Vielen im Publikum hat es gefallen, das am Ende begeistert applaudiert: "Ich fand das ganz großartig, die Problematik, um die es ja gerade in aller Welt geht, ist supergut rausgekommen: unsere Umweltverschmutzung und die Klimaproblematik."
Überspannte Geschöpfe Robert Wilsons
Ausgangspunkt dieses Endzeitgedichts ist der an ALS erkrankte Astrophysiker Stephen Hawking. Schon am Anfang, erschreckend und todkomisch, sitzt Jens Harzer in einem Rechteck aus Licht, aufrecht, in Schwarz, die Haare toupiert. Und plötzlich zerreißt sein Gesicht eine Fratze aus Schmerz. Er spielt nicht, er verkörpert, bis in jede angespannte Fingerkuppe hinein, er deutet die Verwundung und Erkrankung des Physikers nur subtil an, aber der Schmerz, der überträgt sich noch in die letzte Reihe.
Auch Barbara Nüsse in ihrer staubtrockenen und leisen singenden Sprechweise, mit einer Wärme, die ins Herz trifft. Marina Galic hoheitsvoll, jeder und jede im Ensemble mit allen Fasern ein Geschöpf Robert Wilsons. Das gleicht dann fast einem Kabinett aus dem Fin-de-Siècle. Wie Wachsfiguren positionieren sich die Frauen, mit der typischen Wilson-Spreizung der Finger. Das ist wunderschön, hochästhetisch - aber irgendwann auch eine Spur: überspannt.
Die Apokalypse ist bei Robert Wilson ergreifend schön
Die Fragen an den Sinn, die Frage nach Gott, die Frage nach der Zeit: Das Ganze ist so dicht, als starre man in ein sprichwörtliches Schwarzes Loch, in dem jede Masse aufgehoben ist - Stephan Hawkings Obsession. Was überwältigend, schockhaft und brutal beginnt, wird im Lauf des Abends immer opernhafter: Und leider, der große Bob Wilson tappt in eine Pathosfalle, wenn zur wuchtigen Musik Sätze fallen wie: "Ich, Bote des Kosmos!"
Dennoch, die Untergangsuhr, die hier leise abgezählt wird, sie hat etwas Hypnotisches: Fast glaubt man, am Ende, da wird jetzt einfach das Theater explodieren. Und dann ist es nur: Doomsday. Vielleicht sieht sie so aus, die Apokalypse: leise. Bei Robert Wilson ist sie ergreifend: schön.
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