Kultur nur für Reiche - Wie elitär ist die Kunst?
Kultur kostet Geld. Das ist einer der Gründe, warum Menschen aus ärmeren Verhältnissen oft keinen Zugang zu ihr bekommen. Hinzu kommt, dass sie den Habitus der Kulturwelt oft erst mühsam erlernen müssen.
Eine Theaterpädagogin kann ein Leben verändern. Bei Magnus Rhösen war es eine Mitarbeiterin des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin, die gemeinsam mit einem Schauspieler in seine Klasse kam. Ein Stück wurde gespielt, und die Klasse, erinnert sich Magnus, war plötzlich wie verwandelt. Für ihn eröffnete sich eine neue Welt. Eine offene, kreative Umgebung, in der die Tatsache, dass Magnus non-binär ist, sich also nicht als Frau oder Mann einordnet, sofort akzeptiert wurde. "Ich wollte da gar nicht mehr weg", erinnert er sich.
Kindheit im Plattenbau: "Theater war für andere Leute"
Doch Theater kostet Geld. Magnus Rhösen ist in Schwerin aufgewachsen. Bis er 18 Jahre alt wurde, hat er mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in einem Plattenbau im Stadtteil Krebsförden gewohnt, einem der ärmeren Stadtteile. Die Mutter arbeitet in der Gebäudereinigung, für Freizeit oder Kulturangebote war nicht viel übrig. "Es wurde einfach immer sehr viel über Geld gesprochen", erinnert sich Magnus. Wenn er ins Theater wollte, sagte die Mutter, das könne sie nicht finanzieren. "Theater war gefühlt für andere Leute", sagt Magnus. "Für Leute, die sich schick anziehen und teure Karten kaufen."
Schwerin gehört laut einer Studie von 2018 zu den sozial am stärksten gespaltenen Städten Deutschlands. Nirgendwo sonst, so das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, leben arme und wohlhabende Familien so stark voneinander getrennt. Deshalb war es für Magnus so wichtig, dass viele Angebote des Mecklenburgischen Staatstheaters für Jugendliche kostenlos sind. Zum Beispiel der Jugendclub, in dem Magnus anfing mitzuspielen. "Ich glaube, dass ich Glück hatte in Schwerin, dass es dort so niedrigschwellig war. Dass man in diesen Club gehen konnte und nicht noch Geld zahlen musste." Inzwischen ist er Statist an der Oper.
Theaterpädagogische Angebote erreichen oft nur Mittelschicht-Kinder
Theaterpädagogische Angebote sind wichtig. Die Schweriner Theaterpädagogin Tina Koball, die Magnus ans Theater herangeführt hat, weiß aber auch: Oft erreichen sie nur Kinder und Jugendliche aus der Mittelschicht. Der Zugang zu Kultur und Bildung hängt in Deutschland immer noch stark von Einkommen und Hintergrund der Eltern ab. 83 Prozent der Kinder von Akademikern gehen aufs Gymnasium oder andere Schulen, die den Hochschulzugang ermöglichen, aber nur 46 Prozent der Nicht-Akademiker-Kinder. Diese Schere setzt sich fort. 79 Prozent der Akademiker-Kinder beginnen ein Studium, aber nur 27 Prozent der Nicht-Akademiker-Kinder.
Bildung und der Zugang zur Kultur hängen zusammen. So kommen verschiedene Untersuchungen zu dem Schluss, dass ins Theater mehrheitlich Menschen gehen, die mindestens Abitur haben. "Ich glaube, es ist ein Teufelskreis", sagt Magnus. "Wenn Kinder und Jugendliche nicht erfahren, dass das Theater für sie relevant ist, dann werden sie als Erwachsene das Theater auch nicht als relevant empfinden."
Habitus spielt im Kultursektor eine große Rolle
Magnus will später dazu beitragen, anderen zu vermitteln, was für eine Bereicherung Kultur sein kann. Am liebsten als Theaterpädagoge. Deshalb hat er inzwischen ein Studium in Hildesheim begonnen. Aber die Hürden für ihn sind sehr hoch: "Studieren muss man sich erst einmal leisten können", sagt er. "Wir zahlen Gebühren von über 450 Euro, und ich bin nicht BAföG-berechtigt". Magnus hat bereits eine Ausbildung als Erzieher abgeschlossen, die staatlich gefördert wurde. Deshalb bekommt er nun kein BAföG mehr.
Und das Studium allein reicht oft noch nicht, um im Theater einen Job zu bekommen. Mareike Kuch, die gemeinsam mit Magnus studiert, sagt: "Man kommt in Theaterbetriebe nur durch Hospitanzen rein, und die sind unbezahlt. Das muss man sich leisten können, über sechs bis acht Wochen ein unbezahltes Praktikum zu machen."
Was für Kinder aus bildungsbürgerlichen Familien eine Selbstverständlichkeit ist, kann für andere zur Mutprobe werden. "Von meinem Elternhaus habe ich auch nicht mitbekommen, was in einem Theater passiert", sagt Clara-Maria Scheim vom Theaterpädagogischen Zentrum Hildesheim. "Ich habe mich dann trotzdem getraut, mich auf ein Schulpraktikum zu bewerben. Aber es spielt ganz viel Habitus eine Rolle. Was ich aus meinem Elternhaus mitbringe. Und welche Konventionen man sich vielleicht schon in der frühen Kindheit angeeignet hat, die man sich im späten Alter dann schon auch erarbeiten muss."
Entscheider stammen oft aus Akademikerfamilien
Autoren wie Édouard Louis, Didier Eribon und Christian Baron haben in den vergangenen Jahren erfolgreich darüber geschrieben, was es heißt, sich als Kind aus prekären Verhältnissen in der elitären Kulturwelt hoch zu kämpfen. Doch die Entscheidungspositionen in der Kultur sind meist von Kindern aus Akademikerfamilien besetzt, sagt Sonja Anders. Die Intendantin des Schauspiels Hannover hat selbst als Kind Armutserfahrungen gemacht und sagt heute, es gebe nur wenige Intendant*innen, die nicht aus der Mittelschicht kommen. "Das liegt schon daran, dass es weniger Akademiker gibt, die aus armen Familien kommen. Es gibt sicherlich auch viel weniger Menschen in leitenden Funktionen, die aus armen Familien kommen. Und trotzdem gibt es welche!" Doch die soziale Herkunft sei ein Tabu.
Magnus hat inzwischen einen Nebenjob in einer Buchhandlung gefunden. Und er kämpft weiter darum, seinen Weg in der Kultur zu machen. Wenn Menschen mit seinem Background keinen Platz an Theatern, in Museen und anderen Institutionen finden, dann fehlt der Kultur etwas, sagt er: "Ganz viele relevante Themen in der Gesellschaft, die viele Menschen betreffen."
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