Stand: 12.12.2018 12:00 Uhr

Journalismus: Große Recherche, große Vermarktung

von Daniel Bouhs und Kathrin Drehkopf
Der Mainzer Journalistik-Professor Tanjev Schultz beobachtet das Marketing von Investigativ-Geschichten wie den "CumEx-Files". © NDR Foto: Daniel Bouhs
Journalistik-Professor Schultz beobachtet das Marketing von Investigativ-Geschichten wie den "CumEx-Files". Gute Geschichten brauchen Aufmerksamkeit, das Marketing solle aber nicht ins Marktschreierische abrutschen.

Viele Recherchen im Jahr 2018 haben gezeigt: Wenn es darum geht, komplexe Themen ans Publikum zu bringen, leisten Journalisten inzwischen ebenso einen vergleichbaren Aufwand beim Marketing wie bei der eigentlichen Recherche. Sie werfen Anker mit Nennungen wie "NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung" oder "Dokumente, die der 'Spiegel' erhalten und mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC geteilt hat". Vor allem aber verpacken sie ihre Geschichten mit eigens kreierten Logos und Designs. Nur: Was bleibt dabei eigentlich beim Publikum hängen und warum?

Umfrage zeigt: Recherche-Verbünde im Reichweitenvorteil

ZAPP hat sich umgehört - nicht repräsentativ, aber doch mit einem Stimmungsbild. In einem Einkaufszentrum bei Hamburg gingen insgesamt 16 Passanten Recherchen aus dem ablaufenden Jahr durch. Die klare Erkenntnis: Wo mehrere Medien beteiligt sind, die ihre Recherchen auch gestaffelt auf verschiedenen Ausspielwegen anbieten, bleiben die Themen tatsächlich hängen. Fast alle erinnerten sofort "Implant Files", die meisten "Football Leaks" - auch wegen persönlichem Interesse am Fußball oder eigenen Bekannten, die von Implantaten betroffen sind. Allein: Die "CumEx-Files" um den umfassenden Steuerbetrug durch Banken erinnern in der Stichprobe auch nach Hinweisen nur wenige Befragte.

Komplexe Recherchen brauchen griffige Namen und Bilder

"Finanzgeschäfte, irgendwelche Manipulationen, Steueroasen - wenn es in die Details geht, wird es für die meisten Verbraucher sehr abstrakt, sehr kompliziert und auch sehr fern", sagt der Mainzer Journalistik-Professor Tanjev Schultz. Er hat einst für die "Süddeutsche Zeitung" investigativ gearbeitet und kennt das Recherche-Marketing auch aus der Praxis. Schultz ist grundsätzlich Fan der Idee, dass Medien ihre Recherchen aufbereiten: "Bei sehr komplexen Recherchen ist es schon wichtig, ihnen einen Namen, einen Begriff oder auch ein Bild zu geben. Sonst zerfasert das."

Reine Online-Geschichten wurden nicht erinnert

Die ZAPP-Umfrage zeigt auch: Bei kaum einem Befragten blieb hängen, welche Medien-Marke genau eine Recherche veröffentlicht hatte. Allerdings erreichen das Publikum Recherchen vor allem über das Radio - so erinnerten sich zumindest viele in der Stichprobe. Auch das Fernsehen wurde häufiger genannt. Ein Thema, das weder im Radio noch im Fernsehen groß präsentiert wurde, erinnerte dann auch kein einziger: "Hannibal", den Drahtzieher eines rechten Untergrundnetzwerks mit Kontakt zu Geheimdienstlern und Soldaten - zeitgleich recherchiert von "taz" und "Focus".

VIDEO: Gute Recherchen brauchen Aufmerksamkeit (17 Min)

Vor allem TV- und Radio-Verbreitung hilft

"Ich vermute schon, dass wir da mindestens bei der Hälfte wären, hätten das auch die Hauptnachrichten gespielt", sagt Journalistik-Professor Schultz, der dabei vor allem an die mediale Präsenz der Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" erinnert, die oft auch Thema in der "Tagesschau" sind. Dabei sei der Name "Hannibal" für Recherche-Marketing ideal: "Den kann man sich gut merken. Und wenn es dann auch wie hier um ein Thema geht, das vielleicht Ängste auslöst oder dazu angetan ist, Unruhe zu erzeugen, dann würde das schon im Kopf bleiben."

Schultz: ARD und ZDF sollten auch externen Recherchen "Raum geben"

Schultz sieht hier allerdings weniger die kleineren Medien wie "taz" oder "Focus" in der Verantwortung, besser die Werbetrommel für ihre Recherchen zu rühren. Er sieht hier eher eine Aufgabe für ARD und ZDF: "Das müsste der Rundfunk auch leisten, also nicht nur das, was man in den eigenen Recherchen-Kooperationen recherchiert hat, nach vorne zu bringen, sondern auch Extern einen gewissen Raum geben", fordert Schultz gegenüber ZAPP. Er meint allerdings explizit nicht, fremde Recherchen einfach nachzuerzählen, sondern die Themen selbst anzugehen: Auch ein anderes Ergebnis derselben Recherche wäre ein Gewinn - zusätzlich zu den Recherchen aus den Investigativ-Kooperationen wie NDR, WDR und SZ.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 12.12.2018 | 23:20 Uhr

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