1989: Tränengas gegen Fußballfans von Hansa Rostock
Ein Sonderzug in die Tschechoslowakei, was sollte da schon schiefgehen? Selbst in diesen politisch unruhigen Zeiten. Axel Klingbeil und seine Freunde waren sich im September 1989 sicher, so am ehesten ohne größere Probleme zum Europapokal-Rückspiel ihres Fußballclubs Hansa Rostock beim tschechischen Club TJ Baník Ostrava zu kommen. Immerhin war die Fan-Fahrt vom Reisebüro "Jugendtourist" der Freien Deutschen Jugend (FDJ) organisiert. Und Ostrava lag ja mitten in der Tschechoslowakei, in die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik normalerweise ohne Probleme reisen durften. Weit weg also von der Hauptstadt Prag, wo sich in der bundesdeutschen Botschaft mittlerweile gut tausend DDR-Flüchtlinge aufhielten und auf ihre Ausreise nach Westdeutschland drängten. "Am Ende haben wir uns falsch entschieden", sagt Klingbeil rückblickend und muss dabei sogar etwas schmunzeln. Dabei waren die Ereignisse an jenem 27. September 1989 für die Beteiligten keineswegs zum Lachen.
20 Jahre ohne Europapokalteilnahme
Klingbeil, damals Hansa-Anhänger und später Fanbeauftragter des Vereins, berichtet von ausgelassener Stimmung am Abend des 26. September, als circa 400 Fußballfans den Sonderzug in Richtung Ostrava bestiegen. Darunter auch viele ältere Hansa-Anhänger, die nach 20 Jahren ohne Europapokalteilnahme ihres Clubs endlich wieder "internationale" Fußballluft schnuppern wollten. Es galt, das Rostocker Team zu unterstützen, das das Hinspiel zwei Wochen zuvor im eigenen Stadion nach 2:0-Führung noch mit 2:3 verloren hatte. Die Fahrt ging über Nacht zunächst bis Dresden. "Dort haben wir etwas aufgeräumt und die Leute eingewiesen, wie sie sich verhalten sollen. Uns war ja bekannt, dass wir unter besonderer Beobachtung stehen und besonders gemaßregelt werden, wenn wir uns in der ČSSR daneben benehmen", erinnert sich Klingbeil in dem Film "'Auf die Straße' oder nach Ostrava", in dem Schüler vom Ostsee Gymnasium Rostock im Jahr 2008 die Geschehnisse aufgearbeitet haben.
Rund 5.000 DDR-Bürger auf dem Weg nach Ostrava
Derweil veröffentlichten verschiedene Nachrichtenagenturen bereits erste Meldungen, wonach in der Prager Botschaft nach den Europapokalspielen mit einem weiteren Ansturm von Flüchtlingen gerechnet werde. Neben der Partie Ostrava gegen Rostock, für die rund 5.000 DDR-Bürger Karten erworben hatten, gastierten noch der spanische Spitzenverein FC Barcelona in Polen bei Legia Warschau und der Bundesligist 1. FC Köln beim tschechoslowakischen Club Plastika Nitra. Es war nichts Ungewöhnliches, dass viele Fußballfans aus der DDR Gastspiele westlicher Vereine im Ostblock besuchten. Angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme aus der DDR über Ungarn und die ČSSR im Herbst 1989 bekam die Reisewelle der Schlachtenbummler allerdings ein ganz anderes Gewicht.
Polizisten mit Knüppeln, Maschinenpistolen und Hunden
Die Fahrt der Hansa-Fans verlief zunächst reibungslos. Auch an der tschechoslowakischen Grenze gab es keine Probleme. "Das war eine kleine Erleichterung für uns. Es war ja zu befürchten, dass die Grenze gesperrt wird wegen der Vorgänge in der Prager Botschaft", so Klingbeil. In Ostrava angekommen, entwickelte sich die Auswärtsfahrt allerdings zu einem Albtraum für die Fußball-Anhänger. "Ich war im ersten Waggon und hatte noch die Möglichkeit auszusteigen, wurde aber sofort zurückgeschickt", erinnert sich Klingbeil. Polizisten mit Knüppeln, Maschinenpistolen und Hunden umstellten den Zug und hinderten die Fans am Aussteigen. Die Fenster durften auch nicht mehr geöffnet werden. Manche Fans wehrten sich, woraufhin die Sicherheitskräfte Tränengas in den Zug schossen.
- Teil 1: 5.000 DDR-Bürger auf dem Weg nach Ostrava
- Teil 2: Dramatische Szenen am Bahnhof und im Zug