Jan Ullrich - Sieger der Tour de France 1997 - angestrengt auf dem Rad © picture alliance / Roth | Roth

Jan Ullrich ist 50: Ausfahrt in ein neues Leben?

Stand: 02.12.2023 23:55 Uhr

Jan Ullrich ist am Sonnabend 50 Jahre alt geworden. Kurz vor seinem Ehrentag und 26 Jahre nach seinem Tour-de-France-Triumph hatte der ehemalige Radprofi eine späte Dopingbeichte abgelegt. Der gebürtige Rostocker möchte sich von einer Lüge befreien, die er mehr als sein halbes Leben mit sich herumgetragen hat - und sucht nach einem Weg zurück in den Radsport.

Mit 66 Jahren, wusste Udo Jürgens musikalisch zu berichten, da fange das Leben an. Vor allem aber sei in dem Alter noch lange nicht Schluss. Und auch wenn Jan Ullrich erst seinen 50. Geburtstag feierte, kämpft er genau darum: einen Neuanfang, ein neues Leben. Zumindest aber, dass es vollkommen anders verläuft als in den zurückliegenden Jahren.

Jan Ullrich: Aufstieg und Fall eines deutschen Sporthelden

Die Geschichte des gebürtigen Rostockers ist die vom Aufstieg und Fall eines deutschen Sporthelden: riesiges Radsport-Talent, erster deutscher Tour-de-France-Sieger, Alkohol- und Drogenprobleme, Dopinggerüchte, nun ein spätes Dopinggeständnis.

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Jan Ullrich führt bei der Tour de France 1997 das Fahrerfeld im Gelben Trikot an. © imago sportfotodienst

Jan Ullrich gesteht: "Ja, ich habe gedopt"

Kurz vor seinem 50. Geburtstag hat Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich erstmals öffentlich ein klares Dopinggeständnis abgegeben - und hofft auf ein Comeback. mehr

Kurz vor seinem Ehrentag machte Ullrich reinen Tisch. Wohl auch in der Hoffnung, eine zweite Chance zu bekommen - und selbst zur Ruhe zu kommen, wie er es im Interview mit ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt schilderte. "Ich war ganz oben, ich war ganz unten und jetzt ist für mich die Mitte das Ziel. Mit kleinen Sachen kann man auch glücklich werden."

"Ich versuche, keine weiteren Jahre zu verlieren." Jan Ullrich

"Ja, ich habe gedopt": Mit diesem kleinen Satz möchte sich der Toursieger von 1997 nach Jahren in einem Sumpf aus Doping und Drogen und dem beruflichen wie privaten Absturz befreien.

"Ich versuche, keine weiteren Jahre zu verlieren. Ich glaube auch, dass ich gelernt habe, dass ich zum gesunden Leben keinen Alkohol und keine Drogen brauche", erzählt er und bedauert besonders die Jahre "verloren" zu haben, in denen seine Kinder klein waren. "Dem trauere ich schon hinterher."

Sein Blick gehe nach vorne. Das Ziel aber ist so hoch gesteckt wie ein Tour-de-France-Sieg: Stabilität. Die Wahrheit auszusprechen, war für den Privatmann Ullrich indes sicher ein erster wichtiger Schritt auf dem ungewohnten Terrain.

Rausch und Ruin - ein Held auf Zeit

Jahrelang hatte sich Ullrich nicht dazu durchringen können. Die Fans hatten ihm zugejubelt, ihn verehrt, sie waren beeindruckt, als der junge Deutsche 1996 den zweiten Platz bei seinem Debüt bei der Frankreich-Rundfahrt belegte. Dass er bereits im selben Jahr mit dem Doping begann, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Ein Jahr später gelang "Ulle" der Tour-Sieg - die Geburtsstunde einer Sportikone und Auslöser eines nie gekannten deutschen Radsport-Booms.

Der Fahrt in den Radsport-Olymp folgten Jahre, die von kleineren persönlichen Rückschlägen geprägt waren: Gewichtsprobleme, falsche Freunde, Knieschaden. 2006 dann der Knall: Ullrich wurde von der Tour de France ausgeschlossen. Zwischen 2003 und 2006 wurde er, wie dutzende andere Sportler auch, vom spanischen Sportarzt Eufemiano Fuentes mit Blutdoping behandelt. Was eigentlich alle wussten, ist nun Gewissheit.

Ullrich ist "durchgerasselt in die Tiefe"

Seine früheren Kollegen vom Team Telekom hatten schon längst einer nach dem anderen EPO-Doping zugegeben. Weggefährten wie Rolf Aldag und Erik Zabel fassten später, in anderer Funktion, wieder Fuß im Radsport. Doch Ullrich schwieg. Und schlitterte ins Verderben.

Der Mann aus Mecklenburg räumte bestenfalls Verfehlungen ein, zog aber keinen Schlussstrich. "Ich war ein Sieganwärter der Tour de France, und auf einmal ging der Boden auf, und ich bin durchgerasselt in die Tiefe. Ich wurde komplett alleingelassen", sagt Ullrich heute.

 "Man kann tatsächlich noch diesen inneren Schmerz fühlen." Jan Ullrich

Er könne "den inneren Schmerz" noch immer fühlen, der damals an seiner Substanz genagt habe. "Bis ich das Ganze betäuben musste. Dann ging es los mit Alkohol", berichtet Ullrich im Interview. "Als leichter Alkohol nicht mehr ausreichte, kam Whiskey dazu. Und als das auch nicht mehr ausgereicht hat, kam dann noch Kokain dazu - und dann war es praktisch geschehen um mich."

Die Drogen- und Alkoholexzesse, die Abstürze, sie brachten Ullrich dem Tod mehrfach gefährlich nahe.

Weg frei für eine bessere Zukunft?

Viel zu lange hat er die Lebenslüge mit sich herumgeschleppt, weiß er heute. "Mit dem Geständnis - wem hätte ich denn damit geholfen? Ich habe den Radsport zu sehr geliebt, um ihn irgendwie zu schädigen", erklärt Ullrich. Auch hätten ihm seine Anwälte geraten, stillzuhalten. Diese zwei Aspekte hätten ihn dazu gebracht, nichts zu sagen. Bis zum November dieses Jahres.

Nun ist Ullrich 50. Die großen Erfolge liegen rund ein Vierteljahrhundert zurück. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er die Last des Betrugs auf seinen Schultern getragen. Die Zukunft, sie könnte leichter werden. Seinen größten Wunsch aber wird ihm auch zu seinem runden Geburtstag niemand erfüllen: "Ich wäre gerne Profi gewesen in einem dopingfreien Radsport, weil ich glaube, dann hätte sich mein Talent durchgesetzt. Ich hätte gern die Tour de France auch dopingfrei für Deutschland gewonnen."

Ullrich möchte zurück in den Radsport

Abhaken kann und will Ullrich den Radsport auch mit 50 Jahren nicht. Im Gegenteil. Er möchte sich "einbringen. Ich wäre dafür bereit, dann muss sich der Radsport erst mal öffnen, und vielleicht gibt es ja irgendeine Gelegenheit. Diese Emotion und was ich erreicht habe in Deutschland mit dieser Sportart - das sind ja auch Erfahrungswerte. Für jede Kleinigkeit hat man heute Experten, aber Erfahrungen sind auch Gold wert."

Ob er die einbringen darf? In den vergangenen Tagen hat er versucht, sich selbst eine Brücke zu bauen. Ohne aber die tiefliegenden Strukturen des Dopingsystems zu enthüllen. Wohl auch, weil er wieder zum Radsport dazugehören will. Er ist sein Leben. Und er steht für eine Welt, in der er klarkommt.

Mit 50 will Ullrich nach vorn schauen, nicht zurück. Er behält den Tour-Sieg, die Aberkennung ist wegen Verjährung nicht mehr möglich. Damit ist er im Reinen: "Ich weiß, was ich geleistet habe. Und ich weiß, wie es damals abgelaufen ist. Unter diesen Verhältnissen fühle ich mich als Tour-de-France-Sieger", sagt er. Doch das Doping, das lange Zögern, die Abstürze: Er bleibt auch eine tragische Figur - und seine berufliche Zukunft ungewiss.

Dieses Thema im Programm:

3nach9 | 01.12.2023 | 22:30 Uhr

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