Stand: 09.06.2019 16:40 Uhr
"Graue Maus, "ewiger Zweiter", fast insolvent - die SG Flensburg-Handewitt hat lange auf den großen Erfolg warten müssen. Doch 2014 krönte sich das Team zum Champions-League-Sieger und gewann 2018 sowie 2019 die deutsche Meisterschaft. News und Hintergründe zur SG Flensburg-Handewitt.
Den 1. Juni 2014 werden die Fans der SG Flensburg-Handewitt nie vergessen. Es ist der Tag, an dem ihre Lieblinge für viele unerwartet auf den europäischen Thron springen. Im Finale von Köln distanzieren sie den THW Kiel mit 30:28 und gewinnen dadurch erstmals die europäische Champions League. Auf dem Parkett kaum beschreibare Formen des Jubels: Jacob Heinl und Steffen Weinhold herzen Keeper Mattias Andersson. Lasse Svan heult wie ein kleines Kind, Michael Knudsen springt - gefühlt - bis zur Hallendecke, und Abwehr-Hüne Tobias Karlsson hüpft wie ein glückseliges Känguru. "In den letzten Jahren waren wir in vielen Finals", sagt Torjäger Anders Eggert und strahlt über das ganze Gesicht: "Immer waren wir dicht dran. Jetzt hat es endlich geklappt - und wir haben den wichtigsten Titel des Vereinshandballs errungen." Am nächsten Tag werden Tausende auf dem Flensburger Südermarkt mit der neuen Nummer eins Europas feiern.
SG Flensburg-Handewitt News
Flensburgs Handballer in der Bundesliga anfangs nur "graue Maus"
Flensburg ist nicht erst seit Neuestem eine Handball-Hochburg. Zwar gründete sich die SG Flensburg-Handewitt erst am 13. März 1990, die Wurzeln ihrer beiden Stammvereine TSB Flensburg und Handewitter SV reichen aber weit in die Vergangenheit zurück. Schon 1924 zog die Flensburger Turnerschaft, ein Urahn der heutigen SG, in ein Halbfinale auf nationaler Ebene ein. Damals allerdings noch im Feldhandball. Unter dem schützenden Hallendach begannen die Nordlichter ab den 70er-Jahren Bundesliga-Luft zu schnuppern. Der Flensburger TB und Nachfolger TSB mussten nach einem Aufstieg allerdings gleich wieder absteigen. Ab 1984 tummelte sich die SG Weiche-Handewitt vermehrt im Oberhaus, war allerdings sportlich ein stets abstiegsbedrohtes Kellerkind und wirtschaftlich eine "graue Maus".
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Durchbruch für Flensburg Mitte der Neunziger
Der Durchbruch gelang schließlich mit der "Bündelung der Kräfte", mit der Gründung der SG Flensburg-Handewitt. Nach dem Aufstieg von 1992 vermied die neue Allianz zwar nur wegen des Konkurses des TSV Milbertshofen den direkten Wiederabstieg, doch mit der Rückkehr des Torhüter-Eigengewächses Jan Holpert, der zwischenzeitlich in München gespielt hatte, ging es sofort gen Spitze. Seit der Saison 1993/1994 rangiert die SG immer im oberen Tabellendrittel. Das Umfeld erhielt immer mehr Professionalität. Neue ökonomische Größen engagierten sich für den Handball in der Fördestadt, der Etat wuchs. Die Wikinghalle (2.000 Plätze) wurde durch die Fördehalle (3.500 Zuschauer) abgelöst, ehe auch diese ab Dezember 2001 der Vergangenheit angehörte. Seitdem brodelt die "Hölle Nord" auf dem Campus und zählt bis zu 6.300 Insassen.
Lange Zeit nur der "ewige Zweite"
1995 bildeten die Verantwortlichen den Grundstock für die "Bundesliga GmbH & Co. KG" und stellten Manfred Werner und Dierk Schmäschke als die ersten beiden Geschäftsführer ein. Die Mannschaft reifte mit Akteuren wie Holger Schneider, Jan Eiberg Jörgensen, Matthias Hahn, Jan Fegter oder Lars Christiansen, der mit 3.996 Treffern zum erfolgreichsten Torschützen der Vereinsgeschichte werden sollte. Seit 1995 ist die SG aus den internationalen Wettbewerben nicht mehr wegzudenken. 1996 folgte die erste Vize-Meisterschaft, 1997 die zweite. Inzwischen ist die SG zehn Mal als Zweiter eingelaufen. Der Spott vom "Ewigen Zweiten" machte vor allem zur Jahrtausendwende die Runde.
Titel für die SG Flensburg-Handewitt zunächst nur international
Denn Titel sammelten die Flensburger zunächst nur auf der internationalen Bühne: 1997, 1999 und 2001 wanderten EHF-Cup, City-Cup und Europacup der Pokalsieger an die Förde. 2003 hatten die Nordlichter dann auch auf nationaler Ebene die Zurückhaltung aufgegeben. Der DHB-Pokal wurde gleich drei Mal in Serie gewonnen, und im Mai 2004 durfte Flensburg endlich die erste deutsche Meisterschaft feiern. Der neue schwedische Coach Kent-Harry Andersson hatte ein fast unschlagbares "Kollektiv" geformt, das in jenem Jahr wie auch 2007 erst im Endspiel der Champions League scheiterte. Wirtschaftlich konnte der Club aber nicht mit den ganz Großen mithalten. Es mussten Abstriche gemacht werden, 2009 drohte gar die Insolvenz. Sportlich lief es nicht mehr ganz so rund, Trainer-Entlassungen sorgten für Unruhe.
Neue Lichtgestalt Vranjes
In den letzten Jahren wurde der Hebel wieder umgelegt. Als neue Lichtgestalt entpuppte sich Ljubomir Vranjes. 2006 kam der kleine Schwede als Spieler aus Nordhorn, wurde dann Co-Trainer und Team-Manager, ehe er ab November 2010 das Kommando auf der Bank übernahm. Im Sommer 2011 ließen die Flensburger mit der Verpflichtung der deutschen Nationalspieler Holger Glandorf und Lars Kaufmann sowie des schwedischen Torwarts Mattias Andersson aufhorchen. Im Frühjahr 2012 bejubelte die SG die Rückkehr in den Spitzenbereich der Bundesliga und den Gewinn des Europacups der Pokalsieger. Zwei Jahre später folgte die endgültige Krönung in der Königsklasse, an jenem denkwürdigen 1. Juni 2014.
Flensburg-Handewitt feiert zweite Meisterschaft 2018
Die deutsche Meisterschaft gewinnt Vranjes mit der SG allerdings nicht, bevor er 2017 nach Ungarn zu Veszprem wechselt. Neuer Chefcoach wird Maik Machulla, der in der Saison 2017/18 direkt den Titel gewinnt. Die Rhein-Necker Löwen liegen lange Zeit in der Tabelle deutlich vorn, brechen aber in der Schlussphase ein. Zwei Spieltage vor dem Ende übernimmt die SG Rang eins und verteidigt ihn erfolgreich.
Nach vielen Abgängen rechnen in der kommenden Saison wenige Experten mit der Titelverteidigung. Doch die SG spielt die beste Bundesliga-Saison ihrer Geschichte und wird erneut deutscher Meister.
SG Flensburg-Handewitt: Die Geschichte in Bildern
Die SG Flensburg-Handewitt ist ein Zusammenschluss der Handball-Abteilungen vom TSB Flensburg und Handewitter SV. Beide Clubs ebnen 1990 mit ihrer Fusion den Weg für eine erfolgreiche Zukunft. Die Heimspielstätte der Nordlichter ist seit Dezember 2001 die Campushalle. Sie bietet Platz für 6.300 Zuschauer.
Besser bekannt ist sie allerdings unter dem Namen "Hölle Nord". Das gar nicht kühle Publikum verwandelt die Arena regelmäßig in einen Hexenkessel.
Einer der Akteure, den die Anhänger der SG besonders feierten: Sören Stryger. Der dänische Rechtsaußen war lange Jahre Kapitän in Flensburg. 2001 heuerte er bei der SG an, in der Spielzeit 2007/2008 zwangen ihn schwere Knieprobleme in die Sportinvalidität.
Ein anderer Publikumsliebling: Jan Fegter. Von 1995 bis 2003 absolvierte er 317 Partien und erzielte 779 Treffer.
Der zweite europäische Pokalgewinn nach dem EHF-Cup-Sieg 1997: Nach einem 27:27 im Hinspiel bezwingt Flensburg im Rückspiel BM Ciudad Real mit 26:21 und sichert sich so 1999 den Titel im City-Cup. Morten Bjerre reckt die Trophäe in die Höhe.
Im Supercup-Finale im selben Jahr triumphiert die SG ebenfalls - ausgerechnet gegen den ewigen Rivalen THW Kiel. Andrej Klimowets gelingt der entscheidende Treffer zum 20:19.
Doch im EHF-Pokal betrauern die Spieler - hier Thomas Knorr und Jan Fegter - eine denkbar knappe Niederlage gegen Metkovic Jambo aus Kroatien. Nur aufgrund eines auswärts weniger erzielten Treffers ziehen die Norddeutschen im Endspiel den Kürzeren.
Ein Jahr später darf wieder auf europäischer Ebene gejubelt werden. Im Siebenmeterwerfen setzt sich die SG gegen den spanischen Vertreter Adamar Leon durch. Jan Fegter (r.) nimmt die Trophäe entgegen.
Erster nationaler Titelgewinn 2003: Nach einem dramatischen 31:30 gegen TuSEM Essen feiern die Spieler den Pokalsieg mit einer Sektdusche.
Der schwedische Trainer Kent-Harry Andersson kommt 2003 aus Nordhorn nach Flensburg und formt das Team in den kommenden Jahren endgültig zu einer Spitzenmannschaft in der Bundesliga und in Europa.
2003/2004 ist die bisher erfolgreichste Saison der Nordlichter. Zwar verliert das Team das Finale in der Champions League gegen PK Celje Pivovarna Lasko aus Slowenien...
...dafür gelingt es, beim Final Four den Pokal erfolgreich zu verteidigen.
Und: Es folgt die Krönung einer sensationellen Saison. Flensburg wird erstmals deutscher Handball-Meister. Die Spieler bejubeln den Titel mit einer "Welle" vor ihren Fans.
Ausgelassen feiern Sören Stryger, Christian Berge und Pierre Thorsson den Triumph. Spätestens jetzt hat sich auch der Ruf der Flensburger als "ewiger Zweiter" nach vier Vizemeisterschaften in den 90er-Jahren erledigt.
Jubelszene nach dem Titelgewinn in der Campushalle: Keeper Jan Holpert lässt sich von den Fans auf der Stehplatztribüne feiern.
Klare Worte in Richtung des Kieler Lokalrivalen.
Die Double-Gewinner im feinen Zwirn.
Für ihn ist danach Schluss in Flensburg: Der dänische Nationalspieler Lars Krogh Jeppesen wechselt nach vier Jahren SG zum FC Barcelona.
Seine ehemaligen Kollegen feiern derweil 2005 den dritten DHB-Pokalsieg in Folge. Hier strahlen Marcin Lijewski, Christian Berge, Torge Johannsen und Johnny Jensen um die Wette.
Zuvor war bekannt geworden, dass Christian Berge an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist. Zu Gunsten ihres norwegischen Spielers veranstaltet die SG Flensburg-Handewitt 2005 ein Benefizspiel.
2006/07 erreicht die SG nach 2004 zum zweiten Mal das Finale in der Champions League. Maßgeblichen Anteil daran hat Torwart Dan Beutler, der im Halbfinale gegen BM Valladolid den entscheidenden Wurf pariert.
Doch trotz großen Kampfes gegen den Konkurrenten aus der Landeshauptstadt...
...herrscht am Ende Katzenjammer. Das Endspiel gegen den Lokalrivalen THW Kiel geht nach einem 27:27 im Hinspiel knapp mit 27:29 verloren.
Torwart Jan Holpert beendet nach der Saison seine aktive Karriere. Mit 616 Einsätzen ist er Bundesliga-Rekordspieler - und in Flensburg längst eine lebende Legende. Die Fans bereiten ihm einen bewegenden Abschied.
In der Saison 2007/2008 bleibt die SG ohne Titel - zum dritten Mal in Folge. Der letzte DHB-Pokal-Erfolg datiert von 2005, die einzige Meisterschaft von 2004. Spielmacher Ljubomir Vranjes und Co. müssen sich mit der Vizemeisterschaft hinter Kiel begnügen.
Die Spielzeit 2008/2009 läuft für die Nordlichter äußerst unbefriedigend. In der Liga springt nur Platz fünf heraus, in der Champions League ist im Viertelfinale Endstation gegen den HSV Hamburg.
Der langjährige Erfolgstrainer Kent-Harry Andersson muss bereits Ende Dezember 2008 nach einer herben Heimniederlage gegen Kiel seinen Hut nehmen.
Der bisherige Co-Trainer Per Carlen übernimmt das Amt an der SG-Seitenlinie und führt die zwischenzeitlich auf den achten Tabellenplatz abgerutschten Flensburger noch in den EHF-Cup.
Ljubomir Vranjes verabschiedet sich nach einer ereignisreichen Saison vom aktiven Handball und leitet die Geschicke des Vereins zunächst als Teammanager. Im November 2010 tritt er die Nachfolger von Carlen als Trainer an.
2010 verlässt Rekordspieler Lars Christiansen im Alter von 38 Jahren den Verein. In mehr als 600 Pflichtspielen erzielte der dänische Europameister von 2008 mehr als 4.000 Treffer. Sportlich läuft es für die SG durchwachsen. Einem ehrenwerten dritten Platz in der Liga steht das unnötige Halbfinal-Aus im EHF-Pokal gegen die Kadetten Schaffhausen gegenüber.
Auch in der darauffolgenden Saison gibt es keinen Titel für die SG. Die Bilanz: Rang sechs in der Bundesliga, Viertelfinale in der Champions League und eine DHB-Pokal-Finalteilnahme, in der am Ende eine deutliche Niederlage gegen Kiel steht.
Riesenjubel dann aber im Mai 2012: Die SG holt den Europapokal der Pokalsieger, es ist der erste Titelgewinn nach einer siebenjährigen Durststrecke. Die Schleswig-Holsteiner werden zudem Zweiter in DHB-Pokal und Meisterschaft und melden sich in der Spitze zurück.
Der größte Triumph folgt aber zwei Jahre später: Gegen den Erzrivalen THW Kiel gelingt im Finale der Champions League 2014 ein 30:28-Erfolg - der wertvollste Titel in der Vereinsgeschichte.
Ein Jahr später beendet die SG dann ihren "DHB-Pokal-Endspiel-Fluch". Nach zuvor vier Finalpleiten in Folge triumphiert sie 2015 gegen Magdeburg und darf zum vierten Mal in der Vereinsgeschichte den Pott in die Höhe stemmen.
2018 holt die SG ihren zweiten Meistertitel. Trainer Maik Machulla feiert bereits in seinem ersten Jahr als Coach einen Riesenerfolg, der Vorgänger Vranjes verwehrt geblieben war.
Im Jahr darauf gelingt die Titelverteidigung: Trotz vieler namhafter Abgänge bleibt die SG das Maß der Dinge und wird 2019 erneut deutscher Meister.
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09.06.2019 | 15:00 Uhr