Neuzugänge der Winterpause: Martin Amedick und Heiko Butscher (Eintracht) © IMAGO / Schüler

Ex-Profi Amedick über Depressionen: "Wie habe ich das geschafft?"

Stand: 22.06.2023 08:52 Uhr

Ex-Fußballprofi Martin Amedick fordert einen besseren Umgang mit psychischen Erkrankungen im Leistungssport - auch, weil er als Betroffener selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat.

von Yasmin von Bargen

"Da war eine innere Leere, eine Gefühllosigkeit" - so beschreibt Martin Amedick die ersten Symptome seiner Depression. Das war 2010, er war Kapitän in der Fußball-Bundesliga, gewann mit dem 1. FC Kaiserslautern sogar gegen den FC Bayern. Aber die Krankheit überdeckte alles.

Er habe "eine Steinmaske auf dem Gesicht getragen", sagt der 40-Jährige im Interview mit dem NDR. Seine Mimik sei komplett eingefroren gewesen, er fühlte sich antriebslos. "Als Leistungssportler und Kapitän von Kaiserslautern war das ein sehr großes Problem." Besonders, da niemand den richtigen Umgang mit Amedicks Krankheit fand, auch er selbst nicht. Umso mehr setzt er sich jetzt für Aufklärung ein.

Martin Amedick: Vortrag über psychische Gesundheit in Hamburg

Seit einigen Jahren hält Amedick Vorträge über psychische Gesundheit im Leistungssport, wie am Donnerstag auf dem "Sports Medicine & Health Summit" in Hamburg, einem Kongress für Sportmedizin. "Es geht darum, Wissen zu vermitteln, zu sensibilisieren und dazu beizutragen, dass Depressionen früher erkannt werden", sagt Amedick.

Der frühere Innenverteidiger (unter anderem Braunschweig, Dortmund, Kaiserslautern) versuchte selbst lange, seine Erkrankung zu verstecken. "Für mich war die größte Angst, dass meine Karriere nicht weitergeht." Zwischen 2010 und 2012 gab es erst zwei öffentliche Fälle von depressiven Fußballern: Sebastian Deisler, der mit dem Fußball aufhörte, und Robert Enke, der sich das Leben nahm. Die Krankheit war ein Tabuthema in der leistungsorientierten Bundesliga.

Amedick wehrte sich gegen die schlechten Gefühle, er wollte sich durchbeißen, wie so oft im Profifußball. Er wollte keine Medikamente nehmen, aus Angst, es könnte Auswirkungen auf seine Leistungen oder seine Persönlichkeit haben. 18 ganze Monate spielte er weiter. Erst dann nahm er professionelle Hilfe in Anspruch.

"Ich kann gleich nicht Bundesliga spielen." Ex-Fußballprofi Martin Amedick

"Ich habe mich im Nachhinein auch gefragt: Wie habe ich das geschafft? Vor jedem Spiel kamen mir Gedanken wie: 'So schaffe ich das nicht. Ich kann gleich nicht Bundesliga spielen in diesem Zustand.' Ich kam da nicht mehr raus bis zum Anpfiff, danach habe ich dann funktioniert."

Nach anderthalb Jahren Versteckspiel war es endlich raus. "Dadurch, dass ich es selber öffentlich gemacht hatte, waren auf einmal alle Fragen beantwortet und ich hatte innerlich nicht mehr den Druck: Was passiert, wenn es rauskommt? Zusammen mit der Einnahme eines Medikaments und einer Psychotherapie hat mich das schnell symptomfrei gemacht", erzählt Amedick. Die Reaktionen der anderen auf diese ungewohnte Offenbarung in der leistungsorientierten Fußballwelt - durchmischt.

Mitspieler sprachen kaum mit ihm über Depressionen

Die "beste" Reaktion habe Heribert Bruchhagen gezeigt, damals Vorstandsvorsitzender von Eintracht Frankfurt, wo Amedick 2012 ein halbes Jahr spielte. "Er hat mich gebeten, dass wir einen Termin machen und ich zu ihm ins Büro komme", erinnert sich Amedick, "und dann hat er mit mir über die Situation gesprochen. Er war sehr empathisch, authentisch und interessiert. Er wollte, dass ich ihm erkläre, was hinter der Erkrankung steckt und was Symptome sind."

In der Mannschaft wurde Amedick gut aufgenommen, aber über das Thema sprechen wollte bis auf Mitspieler Stefan Aigner niemand. "Frauen treffen sich meist, um zu reden. Das würde ich in den Leistungssport übertragen. Die Männer wollen keine vermeintliche Schwäche zeigen. Dabei ist es ja eine Stärke, wenn man sich öffnet und Hilfe holt."

Vorträge für Robert-Enke-Stiftung

Deshalb redet er heute über das Thema, vor allem mit jungen Fußballern und Verantwortlichen in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten. Autor Ronald Reng, der mit Robert Enke eng befreundet war, hat Amedick dazu animiert. Gemeinsam sprechen sie bei Veranstaltungen der Robert-Enke-Stiftung. Amedick: "Da hören die jungen Fußballer und Trainer einem Ex-Profi eher zu als einem Professor."

"Der Umgang miteinander muss sich ändern." Ex-Bundesligaprofi Martin Amedick

Der 40-Jährige macht sich keine Illusionen: "Der Fußball ändert sich nicht: Dass die Zuschauer Spieler auspfeifen, wenn sie unzufrieden sind; dass Journalisten die Note 5 oder 6 vergeben, wenn man schlecht gespielt hat, das wird immer so bleiben. Aber der Umgang miteinander, der muss sich ändern." Immerhin gibt es Fortschritte, schließlich haben in den vergangenen Jahren immer wieder Sportler über ihre psychische Gesundheit gesprochen, etwa Werder Bremens Niklas Schmidt.

Amedicks Vorträge tragen den Namen "Depressionen erkennen und verstehen". Er erklärt: "Das Ziel ist es, dass die Zuhörer aus dem Vortrag rausgehen und ein deutlich besseres Bild und mehr Ahnung von Depressionen haben. Um die Krankheit dann besser zu erkennen, bei sich selbst oder bei seinen Mitmenschen."

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 22.06.2023 | 18:00 Uhr

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