Straßenreinigungs-Gebühr in Wedel steigt zum Teil um 1.400 Prozent

Stand: 06.11.2023 15:56 Uhr

Seit Juli müssen die Anwohner von Wedel eine deutlich höhere Straßenreinigungsgebühr bezahlen. Dabei gibt es zum Teil große Unterschiede - selbst bei direkten Nachbarn mit gleich großen Häusern. Einige Anwohner klagen jetzt vor dem Verwaltungsgericht Schleswig gegen die Satzung der Stadt.

von Ole ter Wey

Als Renate Dietz vor knapp fünf Monaten einen Brief der Stadt aus ihrem Briefkasten holte, konnte sie es kaum glauben. "Ich dachte, das kann nur ein Irrtum sein. Das konnte gar nicht sein, irgendwo musste sich jemand vertippt haben", erinnert sie sich. Ein Tippfehler war es aber nicht. Die Straßenreinigungsgebühren für Renate Dietz stiegen von vormals rund 20 Euro auf knapp 300 Euro im Jahr. Das ist eine Steigerung von etwa 1.400 Prozent. Das Beispiel ist extrem, aber kein Einzelfall. Für alle Hausbesitzer aus Wedel (Kreis Pinneberg) ist die verpflichtende Gebühr für saubere Straßen auf mindestens das Dreifache gestiegen. Diese gestiegenen Kosten können von Vermietern auch an ihre Mieter weitergegeben werden.

6,37 statt 2,03 Euro

Die genauen Kosten für jeden Anwohner ergeben sich aus der Anzahl der sogenannten Frontmeter, also die Meter der Grundstücke, die parallel zur Straße laufen. Alle Anwohner direkt an der Straße bezahlen pro Frontmeter jetzt 6,37 Euro pro Jahr, statt - wie bisher - 2,03 Euro. Bei allen Häusern in zweiter oder dritter Reihe oder noch weiter hinten wurde bisher maximal die Länge des schmalsten Grundstücks direkt an der Straße als Frontmeter berechnet.

Nun wurde die Gebührenordnung reformiert. Seit Juli werden teils schräge Linien durch das Grundstück gezogen, um die längste Strecke parallel zur Straße zu ermitteln. Diese wird dann halbiert, daraus werden die Frontmeter errechnet. So kommt es, dass für Menschen mit Grundstücken weit weg von der Straße die Gebühren teils um 1.000 Prozent gestiegen sind.

Gut 500 Widersprüche und viele Klagen

Anwohner blicken in Wedel über den zaun auf die Straße. © NDR Foto: NDR Screenshots
Die genauen Kosten für jeden Anwohner ergeben sich aus der Anzahl der sogenannten Frontmeter. Trotzdem gibt es bei den neuen Straßenreinigungsgebühren zum Teil große Untereschiede.

Nur ein paar Straßen weiter als Renate Dietz wohnen Kerstin Helmers und Steven Wallis. Auch bei ihnen ist die Erhöhung drastisch ausgefallen, statt wie bisher etwa zehn Euro bezahlen sie seit Juli gut 120 Euro im Jahr. "Wir bezahlen also über 1.200 Prozent mehr", rechnet Kerstin Helmers vor. "Und das würde man bei keinem Dienstleister oder einem Produkt, das man sich kauft, widerspruchslos hinnehmen." Gemeinsam mit gut 500 weiteren Anwohner haben sie Widerspruch gegen ihren Gebührenbescheid bei der Stadt eingelegt. Ihrer wurde abgelehnt, bei einigen anderen hingegen wurde die Gebühr wieder gesenkt, zum Teil auf 0 Euro.

So entstehen teils kuriose Konstellationen: Im Hellgrund, einer Straße im Wedeler Süden, haben drei Nachbarn mit identischen Grundstücken nun Bescheide über 140 Euro, 40 Euro und 0 Euro von der Stadt erhalten. "Das ist einfach nur ungerecht", findet Renate Dietz. "Man fühlt sich ohnmächtig und denkt, man ist dem ausgeliefert. Aber ich finde, das darf man sich nicht alles einfach bieten lassen." Sie klagt deshalb gegen die Satzung der Stadt - und ist damit nicht die einzige. Etwa ein Dutzend Wedeler ziehen vor das Verwaltungsgericht in Schleswig.

Anwalt: "Satzung rechtswidrig"

"Die Satzung ist aus unserer Perspektive in mehreren Punkten rechtswidrig", erklärt einer der beauftragten Klageanwälte Ralf Wassermann. "Grundlage einer jeden Satzung ist immer die Kalkulation, in der die gesamten Kosten, die die öffentliche Hand hat, zusammengestellt werden. Und hier entsteht der Eindruck, dass die Kalkulation nicht im Sinne der gesetzlichen Vorgaben aufgestellt wurde." Anders formuliert: Die Stadt nehme mehr Geld durch die Straßenreinigungsgebühren ein, als sie dürfe. Außerdem sei die Verteilung der Kosten ungerecht, so Wassermann.

Stadt: Einige zahlten lange zu wenig

Die angeklagte Stadt sieht sich allerdings im Recht. Die unterschiedlichen Anpassungen je nach Haushalt würden vorherige Ungerechtigkeiten beseitigen, denn einige Anwohner hätten jahrelang zu niedrige Gebühren bezahlen müssen. Und diese fehlenden Einnahmen seien dann von anderen Gebührenpflichtigen und dem städtischen Haushalt mitgetragen worden. Dass die Gebühren insgesamt nach oben angepasst werden mussten, liege an den gestiegenen Betriebs-, Personal- und Entsorgungskosten. Das habe der Landesrechnungshof angemahnt, denn die Gebührensatzung sei seit 2014 nicht mehr angepasst worden, obwohl es in dieser Zeit einige Kostensteigerungen gegeben habe.

Interessant ist dabei der Vergleich mit umliegenden Städten: Während die Straßenreinigung pro Frontmeter in Wedel mit 6,37 Euro pro Frontmeter berechnet wird, kostet sie in Elmshorn trotz Erhöhung in diesem Jahr nur 1,78 Euro. In Pinneberg zahlen die Anwohner 1,19 Euro pro Frontmeter. Und auch in Uetersen liegt die Gebühr mit 2,05 Euro deutlich unter dem Wert in Wedel. Zu einem Vergleich mit den umliegenden Städten will sich die Stadt Wedel nicht äußern. "Was für Kosten dort entstanden sind, in deren Berechnungen einfließen und an die Bürger weitergegeben werden, entzieht sich unserer Kenntnis und ist für uns auch nicht maßgebend", heißt es in einem knappen schriftlichen Statement.

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Bad Bramstedt als Vorbild?

Ein alternatives Konzept bei der Berechnung der Straßenreinigungsgebühr nutzt eine Stadt einige Kilometer weiter im Norden. In Bad Bramstedt (Kreis Segeberg) zahlen alle Hausbesitzer beziehungsweise deren Mieter auf Grundlage der Gesamtgröße ihrer Grundstücke. "Das ist viel fairer", erklärt eine Sprecherin. "So ist es egal, ob ein Grundstück quer oder längs zur Straße liegt." Queranlieger müssen zum Beispiel in Wedel viel mehr bezahlen, weil sie eine längere Strecke parallel zur Straße aufweisen. Und das, obwohl sie die Straße letztlich genauso viel nutzen würden wie ein Längsanlieger, so die Argumentation. Und indem aus der Quadratmeterzahl noch die Wurzel gezogen wird, entstehe auch kein linearer Kostenzuwachs, je größer das Grundstück ist, so die Stadt Bramstedt.

Renate Dietz und ihre Mitstreiter finden die ungleichen Berechnungen im Hellgrund und in ganz Wedel falsch. Sie hoffen auf Unterstützung vom Verwaltungsgericht Schleswig. "Das Verfahren wird wahrscheinlich mindestens anderthalb Jahre dauern", erklärt Anwalt Wassermann. Kurzfristigere Antworten könnte aber womöglich schon die nächste Sitzung vom Umwelt-, Bau- und Feuerwehrausschuss der Stadt Wedel am Donnerstag, 9. November, liefern. Auf Antrag der SPD soll hier nochmal die Kalkulation der Straßenreinigungsgebühr diskutiert werden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 06.11.2023 | 17:00 Uhr

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