Stillgelegtes Gleis als Teststrecke für ÖPNV der Zukunft

Stand: 29.03.2024 16:05 Uhr

Wie können stillgelegte Gleise bundesweit kostengünstig reaktiviert werden? Das wird auf der Strecke zwischen Malente und Lütjenburg erprobt. Für die Forschenden ist das Gleis ein echter Glücksfall.

von Hauke Bülow

Im Jahr 1976 fuhr zwischen Malente (Kreis Ostholstein) und Lütjenburg (Kreis Plön) der letzte Personenzug. Doch wenn es nach der REAKT-Initiative geht, soll diese Strecke in den kommenden Jahren reaktiviert werden. Und viele weitere bundesweit könnten folgen. Wie genau das klappen kann, daran forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Christian Albrechts Universität (CAU), der Fachhochschule und der Muthesius Kunsthochschule in Kiel sowie der Technischen Hochschule in Lübeck gemeinsam mit weiteren Unternehmen und Organisationen. Beteiligt sind beispielsweise Informatiker, Verkehrsplaner oder Industriedesigner.

"Wir wollen aufzeigen, dass Schienenverkehr im ländlichen Raum wirtschaftlich funktionieren kann", erklärt Sven Ratjens. Sein Start-Up "HLB" hatte die 17 Kilometer lange Strecke 2022 von einem Privatmann gekauft und anschließend einen Nutzungsvertrag mit der CAU abgeschlossen. Die Uni und andere Interessierte können nun in den kommenden Jahren direkt auf und mit dieser stillgelegten Bahnstrecke forschen. Inzwischen arbeitet Ratjens selbst für die Kieler Uni und koordiniert die Projekte.

Das Besondere an dem Gleis zwischen Malente und Lütjenburg: Es ist komplett intakt und kein anderer Zug fährt hier. "Wir können hier also Dinge erforschen, die im herkömmlichen Streckennetz der Deutschen Bahn nicht genehmigungsfähig wären", sagt Ratjens NDR Schleswig-Holstein.

Fährt der Zug der Zukunft autonom?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) blickt auf einen PC-Monitor © NDR Foto: Hauke Bülow
Bundeswirtschaftsminister Habeck zeigt sich beeindruckt vom Schleswig-Holsteiner Projekt.

Die Reaktivierung von stillgelegten Schienen ist deutschlandweit in vielen Regionen Thema. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Allianz pro Schiene haben zuletzt die Reaktivierung von 277 Strecken mit knapp 4.600 km Länge vorgeschlagen. Genau hier setzt das Schleswig-Holsteiner Projekt an.

"Wir sehen enorme technische Entwicklungsmöglichkeiten im Schienenverkehr", sagte Start-Up-Gründer Ratjens bei einem Termin im Malenter Kursaal am Donnerstag. Dort präsentierten die Verantwortlichen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die ersten Ideen für den Zugverkehr der Zukunft im ländlichen Raum.

Industriedesigner der Muthesius Kunsthochschule Kiel haben am Computer beispielsweise einen Prototyp eines kleinen Shuttlezugs entworfen, der das Umsteigen auf einer eingleisigen Strecke möglich machen könnte. Dafür docken zwei autonom fahrende Züge auf freier Strecke aneinander an, sodass die Fahrgäste von einem in den anderen Waggon steigen können. Die Züge starten danach wieder in unterschiedliche Richtungen.

"Wir wollen bundesweites Leuchtturmprojekt werden"

Aktuell rollen auf der alten Bahnstrecke noch Draisinen als Attraktion für Touristen. Doch auch diese werden wissenschaftlich genutzt. "Mit den Draisinen können wir wunderbar die Ortung von Schienenfahrzeugen erforschen. Das ist aber nur ein erster Schritt. Hier sollen zeitnah innovative Schienenfahrzeuge entwickelt werden, mit dem wir den ländlichen ÖPNV der Zukunft simulieren können", erklärt Ratjens. Ob das Solarfahrzeuge sein werden, das stehe noch nicht fest. Die Forschung sei komplett ergebnisoffen. Klar sei aber: Die neuen Fahrzeugkonzepte müssten viel leichter als herkömmliche Eisenbahnen sein, vielleicht zugelassen als Straßenbahnen.

Aber nicht nur neuartige Fahrzeuge sollen entwickelt werden. Es gehe auch um die Infrastruktur, die Leit- und Sicherheitstechnik. Hier gebe es noch viel Luft nach oben bei der Digitalisierung. "Das Ganze soll ein Leuchtturm für die gesamte Bundesrepublik werden", sagt der Projektkoordinator.

Habeck: Hier entsteht ein Ideenquell

Bundeswirtschaftsminister Habeck zeigte sich bei der Vorstellung des Projekts beeindruckt von den Ideen. "Ich dachte, ich bekomme hier ein Projekt für den Tourismus gezeigt, bei dem alte Bahnschienen genutzt werden", sagte Habeck. Er sei überrascht, dass hier ein Forschungs-Hub im ländlichen Raum aufgebaut werde. "Ich glaube, dass hier ein Ideenquell entsteht", so der Wirtschaftsminister. Die Idee, vorhandene Infrastruktur wieder zu nutzen, sei faszinierend. "Wir müssen da eine Technik draufbekommen, die fährt", sagte Habeck. Gleichzeitig machte er deutlich, dass aus seiner Sicht keine Schienen mehr zurückgebaut werden sollten. "Das wäre richtig dumm!"

Projektkoordinator Ratjens freute sich über den Besuch des Bundesministers. "Das ist eine enorme Wertschätzung und motiviert uns, weiterzumachen", sagte er NDR Schleswig-Holstein. Ratjens hofft, dass spätestens 2026 wieder richtige Triebwagen auf der Forschungsstrecke rollen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 28.03.2024 | 19:30 Uhr

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