Ein Flügel steht in der großen Halle einer Schule © NDR

Wie die Justiz in MV Millionen von Euro an Vereine verteilt

Stand: 17.03.2023 16:59 Uhr

Zahlreiche Vereine in Mecklenburg-Vorpommern erhalten Geld aus eingestellten Strafverfahren. Dabei können Gerichte frei entscheiden, wohin verhängte Geldauflagen fließen. Recherchen zeigen nun, dass manche Vereine besonders von der Justiz profitieren.

von Philipp Nöhr

Die Töne der Mazurka, Opus 67, erfüllen die Aula des Schweriner Goethe-Gymnasiums, als Schülerin Maialen das Klavierstück von Frédéric Chopin anspielt. Das Stück spielt sie nicht auf einem beliebigen Instrument – es ist ein Steinway-Konzertflügel, dessen goldenes Innere in der Nachmittagssonne glänzt und dessen hohe Kosten zu einem Großteil die Justiz in Schwerin übernommen hat: Mehr als 50.000 Euro erhielt das Musikgymnasium nach Recherchen des gemeinnützigen Recherchezentrum "Correctiv" für die Anschaffung des kostspieligen Instruments.

Ein Flügel steht in der großen Halle einer Schule © NDR
Der Steinway-Konzertflügel des Schweriner Goethe-Gymnasiums – unterstützt mit mehr als 50.000 Euro von der Justiz.

„Es ist für einen wirklich guten Zweck“, sagt Christiane Sobke, Vorsitzende des Fördervereins für das Goethe-Gymnasium Schwerin. So könne man „Schülern eine Möglichkeit geben, wirklich auf einem guten Instrument zu spielen.“ Möglich wurde all dies, wie Sobke erklärt, durch einen Brief an ein Gericht – mit der Bitte um Unterstützung für ein neues Instrument. Diese Bitte sei dann bei der Justiz offenbar „auf fruchtbaren Boden gefallen“ – kurz darauf kam vom Gericht die fünfstellige Finanzspritze.

Correctiv: Wohin die Justiz in MV Geldauflagen verteilt

So wie das Schweriner Goethegymnasium erhalten viele Vereine in Mecklenburg-Vorpommern Geldauflagen aus eingestellten Strafverfahren: Mehr als 13 Millionen Euro haben Staatsanwälte und Richter in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen zehn Jahren verteilt – der Großteil davon ging an Vereine. Das gemeinnützige Recherche-Netzwerk "Correctiv.Lokal" zeigt in einer Datenbank, wohin genau Gerichte und Staatsanwaltschaften das Geld verteilen. Laut Correctiv zeichnen die Daten ein ungleiches Bild: Manche Vereine bekommen einmalig nur einige hundert Euro. Andere wiederum erhalten jährlich tausende Euro.

So weisen Gerichte Vereinen Geld zu

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Staatsanwälte und Richterinnen können gegen die Zahlung einer Geldauflage Strafverfahren einstellen – die Gelder gehen in MV meistens an gemeinnützige Vereine

Das Prinzip hinter der Geldverteilung: Richter und Staatsanwälte können Strafverfahren gegen die Zahlung einer Geldauflage einstellen. Beschuldigte zahlen stattdessen eine Geldauflage – wohin, entscheidet die Justiz. Das Geld geht dann entweder an die Staatskasse oder an einen Verein. Einziges Kriterium dabei: Der Verein muss gemeinnützig sein. Ein Verein muss jedoch nicht nachweisen, was mit dem Geld genau passiert.

Ebenso wenig gibt es für Richterinnen und Richter Regeln für die Auswahl der Vereine. Das sei aber auch richtig so, sagt Michael Mack vom Richterbund in MV – denn: "Richter sind in ihrer Entscheidung unabhängig und nur dem Gewissen unterworfen, und das bedeutet letztendlich auch, dass sie eigenverantwortlich diese Entscheidung treffen.“

Transparency International kritisiert Geldverteilung

Dass Richterinnen und Richter Geld in freier Entscheidung an Vereine vermitteln können, sieht Transparency International kritisch. "Das Risiko besteht darin, dass sich Friends- and Family-Programme entwickeln können zwischen den Justizbeteiligten und den Empfänger-Organisationen“, sagt Heribert Hirte von Transparency International Deutschland. Er fordert daher mehr Transparenz – und zwar "indem die Entscheidung der Gerichte und Staatsanwaltschaften offengelegt wird, wie viel Geld an wen geht.“

Das Landesjustizministerium in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht bisher nicht proaktiv die Verteilung der Geldzuwendungen. Anders als zum Beispiel in Niedersachsen: Dort wird jährlich das Verzeichnis aller Einrichtungen, die von Geldauflagen profitieren, veröffentlicht – mit den einzelnen Beträgen sowie den zuweisenden Gerichten und Staatsanwaltschaften. Mehr Transparenz in der Geldverteilung kann sich auch der Richterbundvorsitzende Mack vorstellen. Es spreche nichts dagegen, dass "der Richter, die Richterin, auch begründet, warum jetzt eine bestimmte Geldzuwendung an bestimmte gemeinnützige Organisationen erfolgen kann.“

Landesjustizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke) sieht zwar keinen grundsätzlichen Reformbedarf in der Vergabepraxis. Doch man werde prüfen, "ob wir gegebenenfalls auch Listen bei uns auf der Homepage offenlegen können.“

 

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 17.03.2023 | 17:00 Uhr

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